von Jamal Tuschick
Charles Baudelaire nannte George Sand eine „Spießerin der Unmoral“. Er unterstellte ihr die Urteilstiefe einer „Gardienne“. Darüber würde Persephone kein Wort verlieren, wäre es nicht Baudelaire gewesen, der, so erklärt es Hans Mayer, „die Dialektik von Skandal und bourgeoiser Gleichschaltung im Fall George Sand“ aufdeckte.
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Aurora und Leopold von Sacher-Masoch sind gefragte Leute. Leopold steht als Skandalautor hoch im Kurs. Die originellsten Köpfe der Epoche pilgern zu dem Schreibritter nach Graz, ohne sich an dessen bodenständigen Überspannung zu stören. Bodenständig, so formuliert Persephone, weil der räumliche Radius des Erotomanen einen stabilen Gegensatz zu seinen literarischen Ausschweifungen bildet. Das urbane Zentrum der Steiermark ist viele Jahre der Dreh- und Angelpunkt eines Autors mit europäischer Ausstrahlung.
Aurora begegnet Alberta von Maytner, die unter dem Pseudonym Margarethe Halm publiziert. Mit merkwürdigen Begründungen vermeidet die Schriftstellerin den öffentlichen Verkehr. Im Sommer ist es zu heiß, im Herbst zu kühl, im Winter zu kalt. Das Frühjahr bleibt in der Aufzählung außen vor.
Kälte macht „hässlich“. Besuch empfängt Maytner im Schlafzimmer. Ein mit Mullbahnen verhangenes Bett fungiert als pièce de résistance. So sagt es Aurora. Sie findet Maytner „noch … hübsch genug“.
Im Bett trägt die Ultrahäusliche ein „Hofkleid … (mit) ungeheurer Schleppe“.
„Ihr schwarzes Haar, das drei Tage in der Woche in Wickeln schmachten musste, war jetzt frei und flutete ihr in graziösen Wellen über den Rücken.“
Maytner betrachtet sich als Stammmutter einer neuen Menschheit. In ihrem Schlafzimmer empfängt sie göttliche Sendungen. Der angenehm skeptischen Aurora versucht sie esoterisch den Mund wässrig zu machen; während Leopold der Verstiegenen nach dem Mund redet. Ihm kann kein Mensch zu irre sein.
Ab und zu holt sie ein Gefühl ein, dass Persephone in Neds Gegenwart den Atem nimmt. Er sitzt an ihrem Uni-Schreibtisch. Sie steht neben ihm und betrachtet mit ihm gemeinsam die Institutslinde vor dem Fenster. Unverdrossen singt ein Amselmann sein Lied. Ohne jeden Zweifel wird Persephone nie mehr einen Mann finden, dem sie so gewogen sein kann wie Ned. Diese Einsicht zieht ihr den Magen zusammen, sie bekommt es mit der Angst zu tun.
Sie hört sich sagen: „Ich lass‘ dich nie mehr los.“
Am liebsten würde sie fürderhin nur noch ein reizendes Bild abgeben. Persephone will ein unauslöschlicher Teil von Neds innen-weltlicher Bildergalerie werden. Er soll sie nie mehr aus dem Kopf kriegen. Für später merkt sie sich den Satz: Wir haben unsere Erregung verbraucht und sehen uns nun mit scheuen Augen an.
© Jamal Tuschick 2024-07-11