Die Holiday Season 2013 war da. Mittlerweile verbrachte ich bereits den vierzehnten Monat an der Ostküste der USA. Während meine amerikanischen Freunde am Thanksgiving Day mit ihren Familien die Belastbarkeit ihrer Hosenbünde prüften, verbrachte ich den Tag mit einer Joggingrunde um das Washington Memorial und einem langen Schaumbad. Am späten Nachmittag kamen dann zwei deutsche Freundinnen vorbei, um gemeinsam zu kochen und ein paar Flaschen Wein zu öffnen. Ich weiß nicht mehr von wem die Idee stammte, aber ein paar Stunden später saßen wir im Nachtbus nach New York City.
Es war noch dunkel als wir in New Jersey meine Lieblingsstelle auf der Fahrt nach New York passierten. Die 495 macht hier eine lange Schleife und bevor man in den Lincoln Tunnel abtaucht, bietet sich der erste beeindruckende Blick auf die Skyline von Manhattan. Nach wenigen Minuten in der schmalen und niedrigen Röhre unter dem Hudson River ist man plötzlich von den Wolkenkratzern in Midtown umringt.
Um kurz nach fünf Uhr früh verließen wir das Busterminal. Wir hatten keine konkreten Pläne gemacht – da wir nur einen Tag blieben, wollten wir lediglich stressfrei durch die Stadt schlendern und in das Großstadtflair eintauchen.
Es war bitterkalt, aber die nächtliche Ruhe bot eine magische Atmosphäre. New York City ist wahrlich niemals still, aber an diesem Morgen, vor allem durch den vergangenen Feiertag, hing eine leichte Taubheit über der Stadt. Die Hochhäuser waren noch von Dunkelheit umgeben, während ihre Bewohner den Truthahn vom Vortag verdauten.
Am Weg durch Manhattan begegneten wir nur vereinzelt anderen Menschen und auf den Straßen waren lediglich eine Handvoll Lieferwägen und Taxis unterwegs. Während am Horizont der Gebäudeschluchten schon eine leichte Morgendämmerung aufkam, zeigten sich die ersten Anzeichen eines wolkenlosen Tages. Der Times Square war beeindruckend ruhig – keine Menschenmassen, kein Verkehrschaos, nur grelle Lichter und wir.
Auf unserem Weg entdeckten wir bereits die ersten extravaganten Weihnachtsdekorationen an diversen Geschäften – keine Überraschung, denn am Tag nach Thanksgiving wird traditionell die Weihnachtszeit eingeläutet. Nun erhellten auch die ersten Sonnenstrahlen die pfeilgeraden Straßen von New York City. Ein beeindruckendes Lichtspiel, welches sich langsam von Osten nach Westen über die Stadt legte.
Beim Rockefeller Center stoppten wir kurz, um uns unter das Publikum der Today Show zu mischen, welche hier täglich hinter einer Glasscheibe aufgezeichnet wird. Die Kälte überzeugte uns aber schließlich, weiter in Bewegung zu bleiben. Den letzten Rest der morgendlichen Ruhe genossen wir auf den Stufen der New York Public Library. Der Lärmpegel stieg nun allmählich an. Die Straßen füllten sich langsam mit Autos und Menschen, das übliche Dauerhupen kam in die Gänge und auch die Hot Dog Stände positionierten sich an den Ecken. Der übliche Wahnsinn war zurück.
© Michael Schoberleitner 2020-04-18