David musste Rebecca auf dem Heimweg an der Hand hinter sich herziehen, weil sie keine Kontrolle mehr über sich zu haben schien. Er überlegte währenddessen, ob es in Ordnung war ihre Situation auszunutzen, doch er hatte für gewöhnlich keine besonders hohe Moral. Rebecca versuchte den Schlüssel in das Schloss der Haustür hineinzufummeln und David hoffte, dass sie sich gleich im Schlafzimmer etwas geschickter anstellte. Als sie das Haus betraten, wurde ihm schlagartig schlecht. So einen üblen Gestank hatte er noch nie gerochen. Der Schimmel hatte die Überhand gewonnen und das komplette Erdgeschoss eingenommen und teilweise auch das erste Obergeschoss. Das Gemälde ihrer Großmutter war, bis auf einige kleine Flecken, tiefschwarz. Von den Wänden bröckelte der Putz, denn der Pilz hatte ihn verdrängt. David hatte das Gefühl, er könne den schwarzen Schimmel kriechen hören. Alles hier drin widerte ihn an. Inklusive Rebecca. Er wollte gerade auf dem Absatz kehrt machen, als sie ihm den Weg versperrte. Sie starrte ihn hasserfüllt mit leuchtenden Augen an und fletschte die Zähne. Kurz hatte er Angst an ihr vorbeizugehen, doch dann überlegte er sich, dass er ja stärker sein musste als die zierliche Frau, die vor ihm stand. Er setzte dazu an sie umzuwerfen, wenn es sein musste, doch im nächsten Augenblick wurde er von Rebecca mit abnormer Stärke festgehalten. Jetzt brach Panik in ihm aus. Er konnte sich nicht aus ihrem Griff lösen. Als Nächstes drückte sie David auf den Boden und bevor er schreien konnte hatte sie schon ihre Hände um seinen Hals gelegt und drückte zu. Die Wunde an Rebeccas Finger platzte auf als sie ihn würgte, doch sie bemerkte es kaum. Genau wie das Nasenbluten, das wieder einsetzte. Als ihr Opfer aufgehört hatte zu zappeln, hielt sie den Hals zur Sicherheit noch ein paar Sekunden umschlossen, und fiel dann rückwärts auf den Hosenboden. Ihr wurde kurz schlecht, als sie die Leiche von David sah, aber dann übernahm wieder irgendetwas in ihr die Kontrolle und sie näherte sich ihm. Rebecca schlang die Arme um David, hob ihn hoch und schulterte ihn letztendlich, um ihn nach draußen zu tragen. Sie ging mit ihm einmal um das Haus herum, zur Kellertreppe. Diese öffnete sie mit einer Hand. Ohne das Licht einzuschalten, warf sie David die Treppe hinunter in die Dunkelheit. Sie blieb kurze Zeit vor der Tür stehen und lauschte den Kriech- und Schmatzgeräuschen die aus dem schwarzen Raum kamen. Dann schien sie plötzlich ihr Bewusstsein wiederzuhaben. Sofort schlug Rebecca sich die Hände auf die Ohren und begann laut zu schluchzen. Was hatte sie getan? Sie hatte kaltblütig einen Menschen getötet. Sie fiel auf die Knie und da bemerkte sie wieder den fauligen Gestank, der aus dem Keller aufstieg. Die Panik packte sie, sie sprang verkrampft auf und rannte zurück in das Haus. Durch das vollkommen eingenommene Erdgeschoss hetzte sie nach oben. Sie sah durch die, in Tränen schwimmenden, Augen kaum etwas. Rebecca machte halt in ihrem Bad und kniete sich in den zerbrochenen Spielgel. Ihre Knie und Schienbeine fingen direkt an zu bluten, doch das war nun nicht mehr von Belang, denn sie schnappte sich eine große Spiegelscherbe und drückte sie sich widerwillig, unter lautem Schluchzen in den Hals. Sie fiel sofort auf den Boden und bedeckte diesen mit ihrem Blut. Der Schimmelpilz hatte seinen Wirt verloren und musste nun nach einem neuen Suchen.
© Christian Schleich 2023-07-04