von Moosfräulein
Sumpf, Wiesen und ruhige Wasserstraßen. Birken, Erlen, Weiden und alles Bodengewächs ergehen sich im Farbenspiel trotz des bleiern grauen Himmels. Gelb, Grün und tausend Töne Braun und hier und da ein unwirklicher Tupfer Rot. Die Luft ist klar und feucht. Wirklich kalt ist sie noch nicht, auch wenn die Tage bereits viel zu kurz erscheinen. Rehe ducken sich ins hohe Gras, doch ihre Ohren ragen spitz auf, als ahmten sie die bräunlich weißen Pilze nach. Überall sprießen die auf den Wiesen, wie intergalaktische Gewächse, die Hüte tellergroß, eine Invasion der Zwischenwesen.
Drei junge Schwäne treiben auf dem Fließ. Als würde die Natur sich heute nach Gemeinsamkeiten sehnen, haben sie dieselbe Farbe wie die Pilze. Die strahlend weißen Eltern sind nirgendwo zu sehen. Alleine fühlen müssen sich die Jungen dennoch nicht. Das Wasser, das sie trägt, verdoppelt die Vögel, verdoppelt die Welt. Und jeder Baum reicht genauso in die Tiefe, wie er in den Himmel ragt. Kraniche rufen klagend in der Ferne. Sie kündigen den Winter an, vermissen die Sonne.
Auf den wenigen Wanderwegen mit festem Boden ist man nun meistens alleine. Wer lauscht, kann den Nachhall der alten Geschichten vernehmen, jetzt, wo das Plaudern der Touristen beinahe verstummt ist. In den Blättern wispern die Windgeister und über das Häuschen mit dem Reetdach wachen die beiden gekreuzten Schlangenkönige. Ein dunkler Kahn treibt davor, einsam auf der glatt geschliffenen Wasserstraße. Nur für einen Moment bilden sich wenige kreisförmige Wellen. War das ein Fisch oder ein Wassermann?
Entlang der Wege erstrecken sich kaum noch bewohnte Dörfer. Ein Jugendlicher in langem, schwarzen Mantel eilt zielgerichtet nach irgendwo, das Gesicht so betont verschlossen, dass es alles ausplaudert. Die Brille ist eckig, der Bart hat noch keine Form. Der Junge drängt hinaus aus der Enge des Dorfes in die Welt, wohin ist zunächst egal. Nur nicht mehr im November im Spreewald sein. Doch noch ist es nicht so weit, vielleicht auch nie. Manche begehen die Flucht nur in Gedanken. Sie beschließen zu bleiben oder vergessen zu gehen. Sie besingen die Schönheit. Sie überhören die Stille. Sie übersehen, wie sich die Welt verändert. Und das hat sein Gutes und sein Schlechtes, wie fast alles auf der Welt.
Die Gaststätten haben fast alle geschlossen. Einige kündigen schon die Gänse für den Advent an. Die am bleiern grauen Himmel teilen deren Schicksal nicht. In ausgefallenen Formationen fliehen sie, sie nun tatsächlich, laut kreischend vor dem Winter. Der Spreewald im November, für sie nur ein verschwommenes Farbenspiel in der Tiefe.
© Moosfräulein 2023-11-22