(Sprich)wörtlich: die Brücke zum Erfolg

Florian Altmann

von Florian Altmann

Story

Maultiere, auch Mulis genannt, halb Esel, halb Pferd, waren einst Gold wert. Der Züchterin Kyra war die Geburt des ersten Mulis zu verdanken. Es war reiner Zufall gewesen – eines Nachts hatte Kyra ein Pferd und einen Esel im selben Stall untergebracht – doch schnell hatte Kyra ihre Chance gewittert und begonnen, weitere Züchtungen durchzuführen. Schon bald standen zahlreiche Menschen vor ihren Ställen Schlange. Adelige aus aller Welt boten für ein Maultier hochwertige Waren zum Tausch an.

Das Geschäft florierte und bald war Kyras Grund zu klein; immer mehr Mulis „produzierte“ sie. Ab sofort handelte Kyra auf einer großen Wiese. Am Morgen führte die Züchterin ihre Prachtexemplare dorthin, stellte die Esel zur Schau und feilschte um Preise.

Die Wiese war zwar nicht weit, doch Kyra war mittlerweile alt geworden – und vergesslich. So entfielen der Züchterin immer häufiger die Merkmale, die ein Muli aufwies, und sie verwechselte ihre Maultiere mit gewöhnlichen Pferden, die sie ja auch, aus Gründen der Züchtung, hielt. Oft war es schon passiert, dass Kyra aus Versehen ein Pferd zwischen all den Mulis am Markt anbot.

Die Tage verstrichen und Kyras gesundheitlicher Zustand hatte sich so sehr verschlechtert, dass es schon eine Seltenheit geworden war, in all dem Gewimmel der dargebotenen Tiere überhaupt einen einzigen Muli zu finden. Je mehr Pferde in die Herde gerieten, desto mehr Kundschaft verlor Kyra. Erst als keine Menschenseele mehr an Kyras Geschäften interessiert war, hatte die Züchterin eine Idee.

Einen Baumeister hatte Kyra schnell gefunden. Dieser errichtete eine Brücke, die nicht über Wasser führte. Sie stand schlicht auf Kyras Grund und hatte einen speziellen Nutzen. Mit ihrer Hilfe gelang es der Züchterin, Mulis von Pferden zu unterscheiden – Maultiere waren um einiges zäher und resistenter als Pferde.

Also lotste die schon fast blinde Kyra ihre Waren morgens über die Brücke. Diejenigen, die nach dem Überqueren keuchten, waren Pferde, die, die entspannt und fit wirkten, mussten die Mulis sein.

Mit der Zeit aber vergaß Kyra, welche Eigenschaften auf welche Tierart zutrafen. Aufgrund dessen schien die Brücke nun nutzlos zu sein, doch wieder kam der noch klugen Kyra eine Idee. Ein letztes Mal informierte sie sich bei einem Nachbarn, welches der Tiere das widerstandsfähigere war, dann dichtete sie.

„Pferde liegen schnell auf der Erde und Maultiere sind schließlich keine Faultiere “.

Dieser absurd klingende Reim diente als Merkspruch und half Kyras Gedächtnis stets auf die Sprünge, nachdem ihre Tiere die Brücke passiert hatten und gemäß ihrer gesundheitlichen Verfassung aufgeteilt wurden.

Mithilfe dieser Tricks – dem Gang über die Brücke und dem Merksatz – gelang Kyra ein neuartiges Aufblühen ihres Geschäfts.

Viele Leute fragten seither, wie der Züchterin dies gelingen konnte, und immer gab sie dieselbe Antwort.

„Eine Eselsbrücke hat geholfen.“

© Florian Altmann 2021-08-11