Sprießender Keim

ScrewDesign

von ScrewDesign

Story
Wien 2000 – 2001

Am Ende meiner schulischen Laufbahn stand ich vor der Entscheidung, ob ich zum Heer gehen würde oder nicht. Bis zu meinem 20. Lebensjahr wollte ich eigentlich noch zum Bundesheer, da ich zwar Pazifist bin, mich Waffentechnik aber nach wie vor fasziniert. Außerdem war dies mein Hauptargument gegenüber meinem Vater, dass er es mir mit 16 gestattet hatte, meine Haare lang wachsen zu lassen – Zitat ich: „dann kommt die Wolle ja eh runter“. Mittlerweile trage ich auch Bart und bin tätowiert, zwei weitere Streitpunkte, die er zuletzt aber resignierend als „so ist der Junge nun mal“ hingenommen hat. Die Haare habe ich aber nach 20 Jahren wieder gekürzt – auf Vollglatze, weil’s mir genauso gefällt wie die Mähne davor.

Als ich dann erfuhr, dass ich mir durchaus, ähnlich wie beim Grundwehrdienst, aussuchen kann, wo ich meinen Zivildienst ableisten will, verspürte ich einen unwiderstehlichen Drang. Ich wollte etwas mit Kindern machen. Die wiener Kinderfreunde der MA11 nahmen mich nach der Matura auf und ich musste eine bittere Pille schlucken. Lagerdienst. Hauptsächlich luden wir Sachen in LKWs oder Lieferwägen oder räumten das Zeug im Lager von einer Ecke in die andere. Wenn wir mal einen Kindergarten betraten, dann als Möbelpacker oder Monteure. Das höchste der Gefühle war der Betrieb eines Kinderkarussells am Tag des Kindes. Die Kinder mussten erst auf eine Plattform klettern, um oben anzuschieben, bevor sie unten mitfahren durften, während die nächste Charge schob. Ich stand immer oben mit dabei, um aufzupassen, meinen Sitzplatz bekamen jene Kinder, die oben nicht anschieben konnten. Das machte mir so viel Spaß, dass ich vergaß genug zu trinken und in meiner Mittagspause mein Essen wieder von mir gab – Sonnenstich. Dabei erwischte ich auch noch die Schuhe meines Chefs – zwar hatte er es irgendwie verdient, aber er tat mir dennoch leid. Er war kein schlechter Chef, nur nicht übermäßig einfühlsam. Aber schließlich war er es, der der Sache nach einem halben Jahr die Wendung gab – er merkte, dass ich unzufrieden war und bot mir an, mich in einen Kindergarten zu versetzen.

Das war’s, was ich von Anfang an wollte. Zwar durfte ich keine Kinder betreuen, schließlich war ich bloß Aushilfe, aber das hinderte diese nicht daran, buchstäblich an mir zu kleben. Noch heute pflege ich die Tradition der „Kinderschuhe“. Damals putzte ich den Boden des Kindergartens, während sich an jedem Bein ein Kind festklammerte. Sie fanden’s lustig, ich auch, die Betreuungspersonen waren einverstanden und ich hatte außerdem noch ein ziemlich gutes Workout. Eines Tages durfte ich sogar beim Windelwechseln einspringen, und zu meinem eigenen Erstaunen gelang mir das ganz ohne Brechreiz, trotz beträchtlichem Materialaufwandes seitens meines Klienten. Als mich die Leitung wenige Wochen vor Schluss meines Zivildienstes fragte, wie es mir ginge, konnte ich, trotz aller Mühen die solche Arbeit mit sich bringt, nur sagen, dass es mir nicht besser gehen könnte. Es war das bis dahin beste Jahr meines Lebens.

© ScrewDesign 2023-12-19

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Biografien
Stimmung
Emotional, Hoffnungsvoll, Reflektierend
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