Stammgast in der Sigmund-Freud-Klinik

Heinz Rappitsch

von Heinz Rappitsch

Story

Bald nach den sieben Jahren Gefängnis hatte ich begonnen, heftig Alkohol zu konsumieren. Meine Saufkumpanen traf ich am Bahnhof und den öffentlichen Plätzen in Graz. Eines Morgens wachte ich unverhofft im Spital auf. Es war das Landesnervenkrankenhaus Sigmund Freud, das LSF. Ich konnte mich an nichts erinnern.

Man hatte mich irgendwo aufgelesen, schlafend, im Vollrausch. Zwei Tage später wurde ich entlassen. Die strenge Oberärztin Dr. Pilz sagte: “Herr Rappitsch, ich möchte Sie hier nie wieder sehen!“

Danach marschierte ich schnurstracks in den Volkspark, wo mir gleich einer sein Bier entgegenhielt. Es öffnete sich mit einem herrlichen Klick und schmeckte göttlich. Einen Monat später war ich zurück bei Frau Dr. Pilz, die mir eine Moralpredigt hielt. Nach drei Tagen ging ich wieder auf die Straße, wo ich unter Obdachlosen lebte. Rund ein Dutzend Mal war ich in den folgenden zehn Jahren auf Besuch im LSF, von wenigen Tagen bis zu manchmal drei Wochen. Während dieser Aufenthalte lernte ich den Big Boss der Psychologen auf dieser Station kennen. Er hieß Hannes, ein gemütlicher Akademiker, mit dem ich auf Augenhöhe reden konnte. Wir verstanden uns von Anfang an sehr gut, rissen sogar Witze und hatten viel zu lachen.

Trocken aus dem LSF entlassen, begann ich jedes Mal erneut mit dem Alkoholkonsum. Erst nachdem ich mehrmals im Gefängnis gewesen und auch noch Schluss mit Marianne war, gelang es mir, endlich trocken zu bleiben. Ich war dreiundvierzig Jahre alt und hatte neun Jahre als Alkoholiker gelebt, unterbrochen nur von diversen ambulanten Aufenthalten im LSF oder im Gefängnis.

Nach dem letzten Knast, weil ich mich mit Polizisten geprügelt hatte, wurde ich zu fünf Jahren Bewährung verurteilt und musste alle vierzehn Tage im Verein Neustart zur Kontrolle antreten. Diese Verpflichtung zwang mich ebenfalls, trocken zu bleiben. Hätte ich eine Alkoholfahne gehabt, wäre das als Rückfälligkeit gemeldet worden. Der Psychologe war Herr Zagoda, der Psychiater in diesen fünf Jahren war wieder Hannes. Nach der Bewährung trafen wir uns ein paarmal und gingen in der Umgebung von Graz wandern. Als Klient wäre das ja nicht erlaubt gewesen. Einmal marschierten wir auf den Schöckel, das andere Mal zum Schloss St. Martin.

Im Jahr nach der Bewährungszeit rief Hannes an und lud mich zu einem Treffen der Ex-Klienten mit dem Personal ein, zum Grillen im Garten des LSF. Einige der fünfzehn ehemaligen Klienten kannte ich, sowie natürlich das ganze Team, die Dr. Pilz, den Hannes, die Sozialarbeiterin Höfler und die anderen. Es war ein wahres Veteranentreffen jener fünf Prozent Alkoholiker, die nicht rückfällig geworden waren. Ich war das erste Mal dabei.

Wir hatten August, und ich erschien fein gekleidet, mit Strohhut und Gilet. Der Frau Dr. Pilz überbrachte ich einen Blumenstrauß. Sie freute sich und sagte: “Herr Rappitsch, wir hatten Sie schon abgeschrieben, nach so vielen Jahren. Wir haben nicht mehr daran geglaubt … dass Sie es schaffen!“

© Heinz Rappitsch 2022-07-16