Durch den Matsch stampften sie, ohne Rücksicht auf Verluste. Die Brocken rechts und links fliegen hoch und höher, ein Wettbewerb entsteht, wer kann die Erde am weitesten fliegen lassen. Rechts Link, rechts, links. Auf und ab, auf und ab. Voran kommen sie dennoch nur stockend. Zu groß der Widerstand, wenn das Wasser an ihren Füßen saugt, sie festhalten will.
Anna gibt zuerst auf, bleibt stehen, die Hände auf den Knien abgestützt, den Oberkörper nach vorne gebeugt, um das Atmen zu erleichtern. Matschflecken auf ihrer Kleidung, in ihrem Haar.
“Geht’s?” die Frage ĂĽber die Schulter ohne anzuhalten.
“Ja ja.” Sie schaut zu, wie die anderen sich entfernen, Stehenbleiben ist keine Option. Ein Blick zurück, aber der Weg ist verwaist. Dennoch hinterlässt die plötzliche Ruhe einen schlechten Beigeschmack. Einen Atemzug noch, tief bis in die Lunge, die tief drinnen zu brennen scheint. Dann strafft sie die Schultern. Den Rucksack zurecht gerückt, die roten Striemen sind schon deutlicher als am Morgen. Dann stapft sie los, beeilt sich die anderen einzuholen. Gemeinschaft schafft Sicherheit, hatte ihre Mutter ihr immer wieder eingebläut. Ohne Sicherheit schaffst du es nicht weit.
Als sie die anderen eingeholt hat, brennen ihre Lungen stärker als zuvor, die Pause war ein Fehler. Kai schaut kurz zu ihr zurück als sie aufschließt, nickt bevor er sich wieder abwendet. Das Nicken, dass sie dazu gehört, aber auch, dass man nicht angehalten hätte, um nach ihr zu sehen. Schwäche konnte die Gruppe sich nicht erlauben. Schwäche führte zum Tod. Tobias hatte sie angefleht und sie waren dennoch weiter marschiert. Anna hatte sich umdrehen wollen, aber sie hatte es nicht getan. Ihre letzte Erinnerung an Tobias war sein Gesicht an dem Morgen, ausgezehrt und müde, die Wangenknochen deutlich der gespannten Haut. Und dann sein leises Schluchzen, vermischt mit dem Geräusch ihrer Schritte, damals noch auf trockener Erde. Stampfen und Schluchzen. Das war alles was blieb. Sie kämpfte gegen das Brennen in ihrem Brustkorb, jeder Atemzug ein kleiner Sieg.
Stampfen und Schluchzen.
Sie reibt sich Matsch und Scheiß von der Stirn und stampft weiter. Vor ihr die hüpfenden Rucksäcke der anderen. Hinter ihr die Spur, die sie durch die Landschaft ziehen. Und irgendwo, ganz weit hinten, die Reste von Tobias, falls es Reste gab, und die der anderen, die sie zurückgelassen hatten. Schwäche war keine Option.
© Michaela Albrecht 2022-06-27