Station 231

Helena Singer

von Helena Singer

Story

Es war gerade Februar geworden. Als ich am Morgen hergekommen war, hatte es geschneit. Vom grauen Schneematsch, den ich mit meinen Stiefeln hineingetragen hatte, waren inzwischen nur noch kleine Pfützen auf dem grauen Linoleumboden übrig geblieben. Er hatte kleine weiße Sprenkel und wenn man lange Zeit auf dieselbe Stelle starrte, bis sie einen einzusaugen schien, erinnerte es an den Februarhimmel, aus dem kleine Flocken trudelten. Seine Hand zuckte leicht in meiner, ich drückte etwas fester zu, um ihm zu signalisieren, dass ich noch da war. Es war recht kalt im Zimmer. Der Lamellenvorhang schaukelte leicht im Wind vor dem gekippten hohen Fenster. Irgendetwas Schweres wurde im Gang vor der Tür vorbeigeschoben. Vielleicht ein Bett. Ich versuchte mit der linken Hand unbeholfen meine Strickjacke etwas enger um mich zu wickeln. Ich wollte nicht aufstehen. Wollte ihn nicht wecken, wollte nicht riskieren, dass er erwachte und feststellen musste, dass ich einfach weggegangen war, ihn alleingelassen hatte. Ich saß schon seit einigen Stunden in derselben Position, spürte meinen Rücken brennen, meinen Nacken ächzen und wie mein Körper nach etwas Bewegung bettelte. Ich strich mit meinem rechten Daumen sanft über seinen Daumen, drückt nochmal etwas fester seine Hand. Am liebsten hätte ich den Kopf irgendwo kurz abgelegt, aber das Seitengitter auf Kopfhöhe verwehrte mir eine bequeme Position auf dem gestreiften Kopfkissen. Meine Schulter lehnte am Gitter und ich musste aufpassen, dass ich dabei nicht aus Versehen auf eine der Tasten kam, mit der ich seine Liegeposition verstellen würde. Er seufzt leise und drehte sich unruhig, was das ganze Bett zum Wackeln brachte. Ich streichelte erneut über den Daumen und dann mit der anderen Hand über seine schmerzverzerrte Stirn, strich ihm die Haare aus den Augen, fuhr sachte die Augenbrauen nach und unterdrückte die Schwere, die sich in meiner Magengegend ausdehnte.

Noch mit geschlossenen Augen lächelte er. Ich spürte meinen Händedruck erwidert.
„Du bist noch da.“ Seine Stimme klang viel mehr wie ein Krächzen, kraftlos und doch so vertraut. „Ich bin immer da“, sagte ich und wusste, dass ich das zwar so meinte, aber nicht würde einhalten können, wenn ich spätestens um 22 Uhr von den Pflegekräften nach Hause geschickt würde. „Hast du genug getrunken?“, er versuchte die Augen zu öffnen, scheiterte und sein Mundwinkel zuckte kurz traurig. „Ja“, log ich. „Aber du nicht. Du musst mehr trinken.“ Ich entzog meine Hand seinem Griff und nutzte die Gelegenheit, um meine Finger zu strecken. Dann erhob ich mich von meinem Stuhl und versuchte mir die Rückenschmerzen nicht anmerken zu lassen, als ich nach dem Trinkbecher auf dem Rollcontainer neben dem Bett griff. Er macht ein brummendes Geräusch und versuchte sich etwas aufzusetzen. Auch das wollte ihm nicht gelingen. Resigniert ließ er die Arme wieder auf die Matratze fallen. „Das geht auch so“, sagte ich, um irgendwie die Frustration aufzuhalten. Ich legte meine Hand an seinen Hinterkopf, ganz vorsichtig und führte den Trinkbecher an seine spröden Lippen. Er trank zwei Schlucke, hoch konzentriert mit angespannter Stirn, ließ dann ab und drehte den Kopf weg.
„Ich mag nicht mehr.“, nuschelt er in sein Kissen.


© Helena Singer 2025-08-16

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional