Stecken geblieben

Ulla Burges

von Ulla Burges

Story

Peter war nun bereit zu einem Treffen. Erinnerungen an ihn waren durch den Filter vieler Jahre beruhigt, temperiert, ich war neugierig, ohne besonderes Ziel, gut gelaunt. Er irgendwie nicht. In einem kleinen Restaurant hatten wir uns verabredet.

Äußerlich hat die Zeit an uns beiden ihre grĂŒndlichen Verheerungen angerichtet, die bestaunten wir beide. Tauschten dann die Eckdaten unserer Lebenswege aus, seit sie sich voneinander entfernt hatten.

“Wir wollten mal heiraten, weißt du das noch?” Er lĂ€chelte, nahm einen Schluck Cappuccino. Ich sah in seine immer noch schönen braunen Augen. “Aber du konntest nicht warten, bis die Zeit dafĂŒr reif war.” Offenbar wollte er mich provozieren. Ich sei einfach abgesprungen, geflĂŒchtet aus der Beziehung, das habe ihn unglaublich verletzt. “Bist du gekommen, um mir das heute zu sagen?” fragte ich. Auch, ja, und meine damals vorgebrachten GrĂŒnde seien so banal und haltlos gewesen. Ob ich inzwischen anders darĂŒber dĂ€chte.

Meine locker gewĂŒnschte Wiederbegegnung mit Peter, sortiert und befreit von altem Unrat, schien zu misslingen. Noch immer hatte er seine sozialistische Ernsthaftigkeit, mit der er alle seine Aufgaben gelöst hatte. Zwei Liebesversuche waren daran gescheitert. Jetzt saßen wir wieder beieinander.

“Als du mir damals von deiner langjĂ€hrigen StasitĂ€tigkeit berichtetest”, sagte ich etwas genervt, “hat mich das dermaßen erschreckt, dass ich gehen musste, auf der Stelle, darĂŒber war mit dir nicht zu reden, warst ein ganz Überzeugter. Ich bekam Angst vor dir.” “Ich weiß”, sagte er, “ich hĂ€tte dir das niemals sagen dĂŒrfen. Ich musste doch diesen Staat schĂŒtzen, der mir so viel ermöglicht hatte. Du hĂ€ttest warten können, hat sich doch eh bald alles aufgelöst.” Er griff nach meiner Hand. Ob ich das immer noch nicht verstehen könne. Nein, konnte ich nicht. Resigniert zog er seine Hand wieder weg.

“Außerdem hatte sich damals gerade deine zweite Frau umgebracht, und du wolltest nicht mal drĂŒber reden.”

“Ach, jetzt kommt das wieder. Du hast dich nicht verĂ€ndert. DrĂŒber reden! Ich gerate immer an depressive Frauen.” Er machte eine hilflose Geste. Mich habe er nicht damit belasten wollen, „waren doch meine Probleme. Mit dir habe ich neu durchstarten wollen!”

Ich fragte ihn, ob er inzwischen wisse, was diese Frauen in den Suizid getrieben habe. “Sag ich doch, depressiv waren sie. Da kann man nicht viel machen. Behandlung, Medikamente
 Ich konnte mich doch von so kranken Frauen nicht trennen.”

“Musstest sie beschĂŒtzen, bis zum bitteren Ende.” Er nickte. “Weil sie dir fĂŒrs Berufliche so sehr den RĂŒcken freigehalten hatten.” Wenigstens das verstĂŒnde ich jetzt, sagte er. Langes Schweigen. Dann griff er wieder meine Hand. “Warum ich dich nicht eher sehen wollte – vor vier Wochen ist was Schlimmes passiert. Es musste erst etwas Gras wachsen ĂŒber der Sache. Marlies, du weißt, meine dritte Frau, hat sich in der Badewanne die Pulsadern aufgeschnitten. Ich will nicht allein bleiben.”

© Ulla Burges 2021-03-28

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