Stehst du auf der Liste?

Jakob Zitterbart

von Jakob Zitterbart

Story

Boris sitzt lässig auf einer Parkbank in Kiew. Hinter ihm wird Fußball gespielt. Es ist ein sonniger Tag im Mai. Der schwere Beschuss ist aktuell vorbei, die Kämpfe toben anderswo im Land. Trotz der vergangenen schlimmen Wochen versprüht Kiew den Zauber jeder Großstadt an den ersten warmen Tagen im Frühling.

Er erzählt mir von seiner Arbeit vor dem Krieg. Als Menschenrechtsaktivist. Davon, wie privilegiert er sich fühlt. Sein Umfeld hat akzeptiert, dass er schwul ist. Stress gab es nur manchmal mit radikalen Gruppen, oft finanziert aus dem Nachbarland. Da musste man eben aufpassen. Sonst gab‘sauf‘s Maul.

Ich denke, dass die Definition von „privilegiert sein“ sehr unterschiedlich ausfällt, je nachdem, wo man geboren ist. Er meint, dass es kein Problem ist, geouted in der ukrainischen Armee zu sein. Ich glaube ihm. Er ist kein Opfertyp. Im Zweifelsfall würde er sich wehren. Mit solcher Selbstsicherheit wird man nicht gemobbt und wenn doch – volle Breitseite zurück an den Aggressor.

Bombenalarm geht los. Ich erschrecke, obwohl ich ja nur virtueller Zeuge bin. Boris bleibt sitzen und zieht an einer Zigarette. Ich kann dem Drang nicht widerstehen und frage ihn, ob er sich denn nicht in Sicherheit bringen möchte. Dabei fühle ich mich schon ein bisschen wie meine eigene Oma. Seine Antwort „Schätzchen, sei nicht so ängstlich!“, macht es nicht besser.

Er schwenkt sein Handy so, dass ich sein Umfeld sehen kann. Die Jungs hinter ihm spielen ungestört weiter. Ich mache mir Sorgen um Boris, obwohl ich ihn eigentlich gar nicht kenne. „Man kann nicht ständig Angst haben. Das macht einen kaputt!“, sagt er.

Kurz nach Kriegsbeginn wurde er von der Regierung kontaktiert. Er solle untertauchen oder Kiew am besten verlassen. Die Feinde hätten eine „To be Killed-Liste“; ganz oben stünden die Regierungsmitglieder und pro-westliche Bürgermeister. Aber relativ bald danach kämen die Namen von Aktivisten. Darunter auch seiner.

Ob er glaubt, dass diese Liste wirklich existiert, frage ich. „Ich bin davon überzeugt, antwortet er.“ Früher sei er viel gereist. 2015 wollte er nach Moskau. Bei der Einreise wurden seine Dokumente 30 Minuten lang geprüft und ihm dann mitgeteilt, dass es sehr schlecht für ihn wäre, nach Russland einzureisen. Er ist wieder nach Hause gefahren.

Ich muss schlucken. Mit 26 hatte ich lediglich darüber nachgedacht, ob mein Name auf der Gästeliste des aktuell angesagtesten Nachtclubs der Stadt steht. Ich musste nie damit umgehen, bedroht zu sein. Ich habe gegen Diskriminierungen gekämpft, die in der Ukraine den Betroffenen wahrscheinlich nicht einmal bewusst sind, weil es ganz andere, größere Probleme gibt.

“Keine Sorge, ich gebe nicht auf”, sagt er. Ich habe einen Kloß im Hals und bitte ihn, auf sich aufzupassen. Ich weiß aber, dass er das wohl nicht tun wird, wenn es darum geht für seine Ideale zu kämpfen.

© Jakob Zitterbart 2022-05-29

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