Steilflug

Silvia Peiker

von Silvia Peiker

Story

Einige Türen in unserem Leben öffnen sich geräuschlos wie von Zauberhand oder mit quietschenden Angeln, andere bleiben trotz Dietrich fest verschlossen. Diese Quintessenz ist gemäß Aristoteles ursprünglicher Elementenlehre das Salz in unserer Lebenssuppe, die wir, egal, ob es uns passt oder nicht, auslöffeln müssen.

Um Teilzeitjobs zu erhaschen, die es mir ermöglichten, genügend Zeit für meine heranwachsenden Sprösslinge zu erübrigen, war ich bereit gewesen, Bauernopfer in Form von erheblichen Gehaltseinbußen und langen Wegstrecken zum Dienstgeber zu erbringen. Einerseits wollte ich meine Familie nicht vernachlässigen, andererseits meinen Beitrag zum Haushaltsbudget leisten.

Jobsuche ist wie Schuhe anprobieren. Manchmal zwickt die Breite oder Länge des begehrten Schuhwerks bei der Anprobe, ein anderes Mal bilden sich die Blasen erst nach längerem Tragen und verleiden so die Freude am angestrebten Tagewerk. Der passende Schuhlöffel ist nicht immer gleich zur Hand und Blasenpflaster helfen nur für kurze Zeit. Dann fällt der Blick auf ein neues Paar Schuhe im Regal und der Spruch: „Schuster bleib bei deinen Leisten“ nimmt zusehends an Bedeutung zu. Denn das Gelernte, verbunden mit ausreichend Praxis, erfüllt die Aussicht auf die ersehnte Stelle mit Zuversicht und lässt uns hoffnungsvoll aus dem Bewerbungspool schöpfen. Beim Steilflug an Höhe gewinnen, das war meine Devise, und zeitweises Absacken in unvorhergesehene Luftlöcher wie eine Dreingabe mit eingeschlossenen.

Immer wieder versuchte ich den bockigen Büroschimmel zu satteln, jedoch sein Wiehern verhallte meist ungehört. Zu lang hatte die Abstinenz vom Aktenordnen in der Konditorinnung nach der Kinderpause, die ich viele Jahre mit dem Hüten von fremden Kindern im Auftrag des Hilfswerks im trauten Heim füllte, angedauert. Erst ein Streif am Horizont, der in Form eines Pädagogikstudiums in mein Leben trat, katapultierte mich zielgerichtet in die schulische Nachmittagsbetreuung. Der Spagat zwischen der Arbeit im Büro und der Kinderbetreuung in der Schule war zwar ein großer, aber ich konnte einerseits mein kaufmännisches Geschick und Faible für Fremdsprachen ausbauen, andererseits meine pädagogischen und didaktischen Kenntnisse praxisnah erweitern.

Frei wie ein Vogel wollte ich im Blau des Himmels schweben, unter mir die verschneiten Bergtäler, mich in den Wolken verlieren. Von einem hohen Ast auf die Welt herabsehen, frei wählen können, ob ich die Flügel spreize oder sie eng anliegend an meinen Körper presse. Bisweilen verlor ich meine innersten Bedürfnisse im Bewerbungsdschungel aus den Augen, geriet an meine Grenzen und erkannte, dass ich die falsche Abzweigung gewählt hatte. So schnürte ich erneut mein Pinkerl und summte:

„Flying high, high, I’m a bird in the sky, I’m an eagle that rides on the breeze.

High, high, what a feeling to fly over mountains and forests and seas and to go anywhere that I please.“

EAGLE von Abba

© Silvia Peiker 2023-01-07

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