von Klaus Schedler
Eine Late-Night-Show wie „Willkommen Österreich“ hat es mit mir nicht leicht, denn zu dieser Sendezeit bereite ich mich schon auf’s Schlafengehen vor. Zugegeben ein Relikt aus jener Zeit, da es nur zwei Fernsehprogramme gab. Unser gemeinsamer erster Fernseher war ein tragbarer Hornyphon und zum Empfang reichte damals eine „Libelle“.
Natürlich gibt es Ausnahmen und ich erinnere mich an manch „verpofelten“ Club 2 oder an einige Gäste bei Hermes Phettbergs „Nette Leit Show“, an die Harald Schmidt Show und auch an Stefans Raabs „TV-Total“. Auch wenn ich diese Sendungen nur sporadisch sah, merkte ich doch, wie rasch der eigentliche Star der Sendung die Beliebtheit mit „Nebendarstellern“ teilen musste: Man denke bei Harald Schmidt an Manuel Andrak, der eigentlich der Redakteur der Show war oder an den Show-Praktikanten „Elton“ bei TV-Total.
Mir erschien dies wie eine späte Würdigung der Erfinder des Formats der Doppelconférence im altösterreichischen Kabarett. Klar, dass die erfolgreiche Moderation einer Show nicht von einem, sondern nur von zwei Akteuren vorzunehmen ist. Mit Dirk Stermann und Christoph Grissemann ist diese Voraussetzung erfüllt und solange ungeklärt bleibt, wer von beiden eigentlich unterschwellig der Gescheite und wer der Belehrte ist bzw. die Rollen ständig wechseln, bleibt die Präsentation spannend.
Natürlich lebt die Sendung maßgeblich von den Gästen und ich gebe zu, dass auch ich mir 1979 erstmals den Club 2 angesehen habe, als die damals schon als schrill bekannte Nina Hagen zu den Gästen von Dieter Seefranz gehörte. Wie sie nun in dieser Sendung begann, masturbationspraktische Tipps anschaulich zu demonstrieren, war auch ich verstört, weil das damals nicht Stand der Diskussion war. In weiterer Folge haben jedoch viele mit aufgeblähter Entrüstung die Unverrückbarkeit ihrer eigenen moralischen Position öffentlich dokumentiert, was ich noch weniger passend und nur mehr abstoßend fand.
Solche skandalheischenden Effekte wären jetzt bei „Willkommen Österreich“ auch kaum mehr vorstellbar und ich erinnere mich, erst am 18. Mai 2020 in der Sendung „Punkt 1“, also am frühen Nachmittag, auf Österreich 1 eine interessante Sendung gehört zu haben, in der Natasa Konopitzky die Kulturwissenschafterin Beate Absalom zu Gast hatte. In der Sendung ging es durchaus detailreich um ein aktuelles Forschungsprojekt zur kreativen Sexualität und experimentellen Intimität. Niemand hat sich öffentlich darüber echauffiert.
Heutzutage halte ich es vielmehr für unmoralisch, wenn im deutschen Kabarett Personen mitunter dadurch verunglimpft werden, dass man ihnen verächtliche Dinge an den Kopf wirft, die im täglichen Leben zu Recht als taktlos und gemein gelten. Gute Kritik ist so dosiert, dass man darüber lachen kann. Schlechte Kritik zielt darauf ab, jemanden der Lächerlichkeit preiszugeben. Soviel ich weiß ist die Gratwanderung bei „Willkommen Österreich“ bislang stets gelungen.
© Klaus Schedler 2020-06-06