Sternenfall

Silvia Peiker

von Silvia Peiker

Story

„Mit größerer Furcht verkündet ihr vielleicht das Urteil, als ich es entgegennehme.“ Mit diesen mutigen Worten quittiert der Philosoph Giordano Bruno das Urteil des Inquisitionsgerichts, das ihn im Jahr 1600 wegen Ketzerei zum Tod auf dem Scheiterhaufen am Campo de Fiore in Rom verdammt. Sieben Jahre sollte das Inquisitionsverfahren dauern, in denen der Dominikaner unbeirrt an seiner Überzeugung festhält, dass in einem gestaltlosen, luftleeren, unbegrenzten Universum eine unendliche Zahl an endlichen und bewohnten Welten existieren. Basierend auf Brunos These konnte sich die Erde somit nicht mehr im Zentrum des Weltalls um die eigene Achse drehen, denn ein unendliches Universum hat keinen Mittelpunkt.

Was damals als gewagter Frevel am katholischen Weltbild nagte, wurde im Laufe der Geschichte zur unumstößlichen Gewissheit. Und das evidente Wissen, dass unser Planet nicht als einziger seine Bahnen durch die Weiten der Galaxie zieht, lässt uns Menschen nach fernen Planeten streben, weckt unseren Entdeckergeist. Im Bestreben, eine Lösung für unsere durch Menschenhand und menschliche Gier an Rohstoffen ausgebeuteten und durch Abgase vergifteten Heimatplaneten zu entdecken, stecken wir Unsummen an Forschungsgeldern in den Bau von Raketen und Sonden, in der Hoffnung, neue Welten zu finden, um deren Rohstoffvorkommen, wie jene auf unserer Erde, wieder für unsere eigennützigen Zwecke auszubeuten.

Ich löse mich aus der philosophischen Betrachtung unseres Weltalls und tauche wie eine Sternschnuppe in die Atmosphäre der Erde ein und finde mich in der Gegenwart wieder.

In der Albertina versinke ich in Anselm Kiefers genialer, in schwarzen, braunen und weißen Farbtönen, inszenierter Installation, dessen Gemälde HOROLOGIUM im Einklang mit der Skulptur Sternenfall den Großteil des Ausstellungsraumes einnimmt. Das altgriechische Wort horologion wird mit Uhr übersetzt, wobei der latinisierte Begriff Horologium das Sternbild der Pendeluhr bezeichnet. Der Maler hat die Sterne des Horologiums auf seinem Bild mit Linien verknüpft und mit den Buchstaben des griechischen Alphabets gekennzeichnet. Im Kontrast dazu symbolisiert das dreidimensionale Kunstwerk in Form eines Bücherturms eine verletzliche Himmelslandschaft, auf das der Künstler Sterne herabregnen lässt.

Beim Betrachten der Installation wird mir klar, dass all das, was wir täglich erleben, in unserem eigenen, persönlichen Lebensbuch der Zeit niedergeschrieben wird. Und ich glaube fest daran, dass wir, wenn wir einmal nicht mehr in dieser irdischen Welt wie Wandelsterne unsere Bahnen ziehen, als helle Sterne vom Nachthimmel leuchten werden.

Dazu fällt mir Hermann Hesses wunderschönes Gedicht ein:

„So ziehen Sterne ihre Bahn,

Unwandelbar und unverstanden!

Wir winden uns in hundert Banden,

Du steigst von Glanz zu Glanz hinan.

Eigenes Foto: Horologium v. Anselm Kiefer, Albertina modern

© Silvia Peiker 2021-08-01

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