von Tina Regber
Es ist ein stürmischer Abend. Ich sitze mit Alex auf der Couch und schaue gedankenverloren aus dem Fenster, von dem Regentropfen abprallen. Tropf-tropf-tropf. Ich nippe an meinem heißen Kakao. Gerade denke ich darüber nach, wie schön es ist, dass wir uns schon so lange kennen, dass die Stille zwischen uns nicht unangenehm ist, als ich von seiner Stimme daran erinnert werde, dass Alex nicht gern schweigt.
„Sag mal, was glaubst du eigentlich, wer die ganzen Sternschnuppen-Wünsche erfüllt?“
Kurz gehen mir Worte wie ‚selbsterfüllende Prophezeiung‘, ‚Placeboeffekt‘ und ‚Esoterik‘ durch den Kopf, bevor ich unweigerlich an verlorene Socken denke. „Also, ich schätze mal, das machen die Menschen, die mit verlorenen Gegenständen in einem Paralleluniversum festsitzen, oder?“ Alex grinst. „Das glaubst du doch selber nicht.“ Stimmt, ich glaube das nicht. „Das wäre ja komplett absurd. Ich meine, wie sollen die Wünsche aus unserem Universum dorthin kommen?“
„Ja, absurd.“ Meine Skepsis verwandelt sich in Neugier. „Also, Alex, erleuchte mich. Wer erfüllt die Sternschnuppen-Wünsche?“
„Gut, dass du fragst. Dafür sind Himmelsboten des Universums zuständig, die von manchen auch Wunschflüsterer genannt werden.“
„Wunschflüsterer?“ Ich bin wieder skeptisch. „Und was soll das sein?“
„Das sind winzige leuchtende Wesen, die am Nachthimmel hinabgleiten und sich beim Leuchten der Sternschnuppen der Erde nähern.“ Er verzieht keine Miene. Bevor ich das verarbeiten, geschweige denn darauf antworten, kann, redet er schon weiter. „Sie haben zarte Flügel, die im Sternenlicht schimmern und tragen Taschen mit sich, in denen sie die Wünsche einsammeln.“ Er sieht zufrieden mit sich aus.
„Ähm, okay. Gib es zu, du hast Peter Pan geschaut und dir wieder vorgestellt, als Tinkerbell mit Feenstaub zu fliegen.“
„Ja, schon“, lenkt er ein, „aber das hat rein gar nichts mit meiner Antwort zu tun. Genau genommen sind Wunschflüsterer auch keine Feen oder Elfen. Aber sie könnten die Vorlage dafür sein. Immerhin sind sie schon alt.“
Ich kann mir eine weitere Frage nicht verkneifen. „Gut… Und wie und wo werden die Wünsche dann erfüllt?“
Alex schaut mich an, als hätte ich ihm mit der Frage einen Wunsch erfüllt. „Sie bringen die Wünsche an einen geheimen Ort, der auch Himmelswerkstatt genannt wird. Mit ein paar kleinen Werkzeugen und sehr viel Fantasie lassen sie die Wünsche Realität werden.“ Er sieht mich an, als wäre damit alles geklärt.
„Ah, und, ähm, wie kommt es, dass sie noch nie bei Forschungsreisen entdeckt wurde?“
„Das ist ganz einfach. Genau wie die Werkstatt vom Weihnachtsmann ist sie unsichtbar und magisch geschützt. Du weißt schon, damit kein Muggel sie aus Versehen entdecken kann.“
„Du weißt aber schon, dass es den Weihnachtsmann und seine Werkstatt nicht wirklich gibt, oder?“ Mir schießt Kapitalismus gepaart mit einer rot-weißen Softgetränk-Marke durch den Kopf, aber ich spreche den Gedanken nicht aus.
Alex zieht eine Augenbraue hoch. „Mit der Einstellung brauchst du dich nicht wundern, wenn du zu Weihnachten nichts bekommst.“ Er steht auf und bringt unsere Tassen in die Küche. Ich seufze und schüttle den Kopf. Gegen Alex eine Diskussion zu gewinnen, ist fast unmöglich.
Als mein Blick zum Fenster gleitet, sehe ich am plötzlich nicht mehr wolkenverhangenen Himmel eine Sternschnuppe vorbeiziehen. Ich verfluche Alex innerlich. Und wünsche mir trotzdem etwas. Man kann ja nie wissen.
© Tina Regber 2024-08-11