Stille, die nachhallt

Exlibres

von Exlibres

Story

Der Teich lag still. Kein Wind. Kein Laut. Nur das leise Knirschen von Kies unter Harveys Schritten, als er den letzten Teil des Weges entlangging. Zwei Linien aus grauem Stein zogen sich bis zur Bank. Sie waren gerade genug, um sicherzugehen, dass niemand vom Weg abkommt. Er setzte sich. Behutsam. Ohne Eile. Nach ein paar Sekunden rückte er ein Stück nach rechts. Wie immer. Wie selbstverständlich. Doch der Platz neben ihm blieb verwaist. Der Blick glitt übers Wasser. Keine Bewegung. Keine Wellen. Nur das Boot. Unbenutzt. Aber da.




Damals war er acht. Vielleicht neun. Der echte See war größer gewesen, wilder. Die Sonne spiegelte sich auf dem Wasser, Vögel sangen irgendwo in den Bäumen. Er hatte ihre Hand gehalten. Nicht fest. Nur lang genug, dass es blieb. „Mama…“, hatte er gesagt, ohne sie anzusehen, „wenn wir ein Boot hätten… könnten wir in die Mitte fahren. Und so tun, als ob uns keiner hören kann.“ Sie hatte gelächelt. „Als Geheimversteck?“ Er hatte die Schultern gezuckt. „Nicht zum Verstecken. Nur… falls ich mal was sagen muss. Wenn ich Rat brauche, bei einer Sache, die keiner hören soll. Außer dir.“ Sie hatte ihn angesehen. Still, aber nicht überrascht. „Also ein Ort, wo man alles sagen darf.“ Er nickte. Dann, nach einer Pause, leise: „Dann sagst du auch Sachen, die du sonst nicht sagen würdest?“ Sie hatte nicht gleich geantwortet. Dann: „Vielleicht. Aber nur, wenn du anfängst.“ Er grinste. Und wusste: Das war ein Versprechen. Keines, das laut ausgesprochen wurde. Aber eines, das galt.




Er hatte es gebaut. Den Teich. Das Boot. Und jedes Mal, wenn es zu viel wurde, wenn das Gewicht zu groß war, kam er hierher. Sah aufs Wasser. Wartete. Aber es blieb still. Und irgendwann wurde das Schweigen vertraut. Dann bequem. Und irgendwann zu Zustimmung. Nicht, weil sie einverstanden gewesen wäre. Sondern weil sie nicht da war, um zu widersprechen. Der Platz neben ihm blieb frei – aber nicht bedeutungslos. Er saß noch immer so, als würde gleich jemand kommen. Als würde er nur darauf warten, dass der Platz, den er ihr zugedacht hatte, endlich von jemandem besetzt wurde. Aber niemand kam. Er atmete flach. Die Hände ruhig. Der Blick offen. Die Stille, die hier an diesem Ort verweilte, war nicht leer. Sie war voll von allem, was sie ihm nie hatte raten können.


© Exlibres 2025-05-20

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Traurig