von Hannes Stuber
Gran Canaria + Teneriffa 1979 …
… einen Feigenkranz um den Hals, in einer Hand die Gitarre, in der anderen meine Reisetasche, unter dem Arm große Bongotrommeln und im Rucksack am Rücken eine schwere alte Underwood-Schreibmaschine, so stieg ich in Las Palmas aus der Maschine, die aus Casablanca gekommen war. Der Zöllner brach einige der Feigen auf, um zu sehen, ob ich darin vielleicht marokkanisches Haschisch schmuggelte.
Ratlos stand ich vor dem Flughafengebäude. Ich war pleite. Mit dem letzten Geld und einer riesigen Portion Gottvertrauen hatte ich das Ticket gekauft. Für den Bus in die Stadt musste ich mir einige Pesetas von einem kanadischen Paar erbetteln. Dem folgte ein mitternächtlicher Canossagang durch die Altstadt, mit den vielen Sachen beladen wie ein Packesel. Kein Hotel nahm mich auf, sobald ich sagte, dass ich kein Geld besaß. Schließlich erbarmte sich eine chilenische Familie meiner. Ich erhielt ein Zimmer in ihrer Pension in der Fußgängerzone. Am nächsten Tag telefonierte ich mit einem Freund und bat um einen Vertrauensvorschuss: eine Geldüberweisung.
Ging ich an Restaurants vorbei und sah die vollen Tische, verstand ich, wie sich Henry Miller gefühlt haben musste, als er hungrig durch Paris stromerte. Leitungswasser war in Las Palmas salzig, man musste Trinkwasser kaufen. Hastig trank ich übrig gebliebenes Wasser von verlassenen Tischen in Straßencafés, ehe die Kellner abräumen kamen. Ich spürte, wie tief man sinken konnte, wenn man nichts zu trinken hatte. Mit vom Hunger geschärften Sinnen machte ich lange Spaziergänge durch die Stadt, ein klappriges Nervenbündel, dessen Gedanken durch das Labyrinth der Ganglien hetzten.
Die Chilenen gaben mir einige Male Burger zu essen und schrieben es auf die Liste. Das rettete mich. Nach zehn langen Tagen war endlich das Geld da. Ich hob es ab, bezahlte meine Schulden, nahm das Schiff nach Teneriffa und den Bus in den Süden der Insel. In Los Cristianos, in der neuen Fußgängerzone, die das Ambiente des traditionellen kanarischen Dorfes zerstörte, lernte ich zwei Straßenmusiker kennen, einen Bayer und eine Schweizerin. Franz spielte Gitarre, Ariane das Saxophon. Wir spazierten zu einem verlassenen Bungalow, der direkt am Strand lag, und musizierten auf der Terrasse, ich auf den Bongos, bis die Sonne ein träumerisches Orangerot auf das Haus zauberte. Vor unseren Augen ankerte ein Katamaran, die englische Flagge gehisst. Auf diesem würde Ariane am nächsten Morgen nach Brasilien segeln. Sie wollte unbedingt dorthin und zum Karneval.
Es war die letzte Session. Franz musste bleiben, weil die Engländer nur einen Platz frei gehabt hatten. Vielleicht konnte er später nachkommen. Ein trauriger Abschied der beiden am nächsten Morgen. Als der Katamaran Fahrt machte, um am Meer zu entschwinden, erklang Arianes Saxophon über die Wellen zu uns herüber. Es war ihr Abschied von Franz, von Europa. Zuletzt ein hauchdünner Ton, der von der Brandung verweht wurde.
© Hannes Stuber 2019-06-30