Stiller Feind

Esther M. Djahangiri

von Esther M. Djahangiri

Story

In meiner Kindheit war es etwas Besonderes, ein eigenes Kinderzimmer zu haben. Ich hatte dieses Glück. Allerdings verdiente mein Zimmer diesen Namen nicht. Es hätte „Klavier“zimmer heißen sollen. Ich musste mir den Raum nämlich mit einem Flügel teilen. Das schwarze Ungetüm nahm etwa die Hälfte der Fläche ein und ließ nur noch Platz für ein Bett, einen Kasten und einen kleinen Schreibtisch.

Von meiner Mutter heiß geliebt – sie hatte sich das Instrument in ihrer Jugend vom ersten selbstverdienten Geld gekauft – und von mir im gleichen Maß gehasst. Das war allerdings mein Geheimnis, denn ich wollte eine gute Tochter sein. In meinen Augen hatte das Klavier keinerlei Daseinsberechtigung. Meine berufstätige, alleinerziehende Mutter hatte weder Zeit noch Muße, darauf zu spielen, und ich durfte das Ungetüm nicht einmal berühren!

Die riesige Fläche zum Abstellen meiner Spielsachen zu verwenden – streng verboten! Selbst einmal in die Tasten zu greifen – streng verboten! Die Pedale zu treten – streng verboten! Unter dem Klavier eine gemütliche Höhle bauen – streng verboten!

Andere Kinder stritten mit ihren Geschwistern, mein – allerdings schweigsamer – Streitpartner war das Klavier. Ich bedachte es mit Schimpfwörtern, die ich nie im Leben einem Menschen gegenüber ausgesprochen hätte. Ich drohte ihm es zu zerkratzen, wenn es mich verraten würde.

Wenn ich allein zu Hause war, stemmte ich manchmal den Flügeldeckel hoch und kratzte möglichst grob mit den Fingern, einem Lineal oder anderen Gegenständen über die Saiten. Natürlich in der Hoffnung, dass ihm das wehtun würde. Es musste die Schmerzen ja schweigend erdulden. Nachts stellte ich mir vor, dass allerlei böse Kobolde auf ihm herumturnten, um es zu quälen.

An meinem achten Geburtstag erklärte mir meine Mutter feierlich, dass ich ab nun Klavierunterricht nehmen durfte. Statt in Begeisterung auszubrechen, erstarrte ich. Ich schaffte es gerade noch, mich höflich zu bedanken. Wie gesagt, ich wollte eine gute Tochter sein. Also fügte ich mich – vorerst – meinem Schicksal. Allerdings hatte ich einen Hintergedanken. Endlich würde ich mich rächen können! Ich würde in die Tasten schlagen und nur falsche Töne spielen, damit sich das Klavier in Schmerzen winden konnte!

Schon bald erkannte man, dass ich für dieses Instrument gänzlich ungeeignet bin und zwei Jahre später fand sich ein glücklicher Käufer.

Und ich hatte endlich mein Kinderzimmer ganz für mich allein!

© Esther M. Djahangiri 2019-08-16

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