von Johann Geitner
„Mal sehen, unten durch oder oben drüber?“
Jetzt wurde es richtig eng. Die beiden hatten sicher ihre Smartphones zwischen den Griffeln, zumindest innerhalb von Sekunden parat für einen Schnappschuss. Spätestens heute Abend wäre ich Star der Sozialen Medien: „Perverser Spanner setzt Stinkbombe ins Damenklo.“, so die Bildunterschrift.
„Kinder, lasst eine alte Frau in Ruhe ihre Geschäfte verrichten! Hchrchr, Khö, Khö.“, täuschte ich einen Hustenanfall vor. „Wenn ihr in meinem Alter seid, werdet ihr froh sein über jeden ordentlichen Stuhlgang.“
Der Spaß war vorbei: „Komm Jessy, wir hauen ab.“
Puh, das ging gerade noch gut. Mein verbaler Auftritt als Seniorin mit belegter Stimme war ein durchschlagender Erfolg. Als ich mich wieder hergerichtet hatte, lugte ich durch den Türspalt in den Flur. Offensichtlich war die Luft rein, zumindest im Raum vor mir. Schnell eine Tür weiter, nun ins Herrenklo, husch, husch in eine freie Kabine, leise die Tür zu. Als der Nachbar die Spülung tätigte, tat ich ihm gleich und gesellte mich neben ihm ans Waschbecken. Auf dem Weg zurück verwickelte ich ihn in einen unverfänglichen Smalltalk. So konnte ich mich gegebenenfalls auf einen Zeugen berufen, falls doch Verdacht auf mich fallen sollte. Ich schnappte mir einen Sektorange und schlenderte Richtung Park. An einem Stehtisch bemerkte ich nebenbei einen blonden Schönling umringt von zwei kichernden Teenagerinnen, wie hieß er doch gleich, Bobo, Tobi oder so. Offensichtlich hatten die zwei Hühner seine Aufmerksamkeit gewinnen können. Lange Fingernägel, knallrote Lippen, sollten sich ihre Ambitionen nicht auf schulische Angelegenheiten beschränken? Augenblicklich konnte ich sie nicht leiden. Immerhin fesselte der junge Mann ihre Aufmerksamkeit soweit, dass sie ihre mobilen Fernsprecher auf den Tisch gelegt hatten.
„Offensichtlich gefallen Dir die kleinen Mädchen?“, wollte meine Begleiterin erfahren, die sich gerade von der Seite angeschlichen hatte.
„Nicht wirklich. Sind zwei dumme Gänse.“
„Ganz recht. Aber wie gefällt’s Dir sonst hier? Wollte mich kurz blicken lassen, damit Dir nicht langweilig wird. Ich hoffe, Du kommst ohne mich zurecht. „
„Klaro, kann mich schon durchmogeln. Ich halte mich ans Buffet und die Bar.“
„Hast recht, die Leute hier platzen regelrecht vor Schotter.“
„Hab‘ schon vermutet, dass es keine Armen trifft.“
„Ingo hat auch die Schnauze voll. Schon bei der letzten Einladung hat er sich abgeseilt.“
„Und jetzt bist Du mit mir da, da könnten böse Gerüchte aufkommen.“
„Für die wenigsten interessant, ich bin nur eine kleine Nummer hier, die kleine Schwester vom großen Enrico, mehr nicht.“
„Hallo, Du auch hier?“, gesellte sich eine elegante Schönheit an unsere Seite.
„Deine Eltern habe ich schon kurz gesprochen, sie meinten, Du kommst später.“, erwiderte Marion.
„Ja, ich hatte eine anstrengende Woche, etliche Klausuren.“
„Sie studieren Medizin?“, riet ich mal.
Irritiert blickte sie mich an: „Woher wissen Sie das? Kennen wir uns?“
„Im Kreis der vielen Mediziner hier ist die Wahrscheinlichkeit hoch, damit einen Treffer zu landen.“
Flüchtig hatte ich bemerkt, dass sich Marion bei unserer Ankunft mit einem Arztehepaar unterhalten hatte, dass auch ich zufällig kannte.
© Johann Geitner 2025-04-18