Storyengel

Musenzeit

von Musenzeit

Story

Einen Engel soll ich töten, steht da.

Niemand geringeres als die gefeierte – und auch gefürchtete – Virginia Woolf schrieb diese Aufforderung, zitiert in einem Buch zum Thema Schreiben. Also nochmal in den Worten der Engelmörderin Virginia, die sich freiherzig dazu bekannte: Um eine erfolgreiche Autorin zu werden müsse ich, laut ihrer Erfahrung, den Engel töten, der sich um alle und alles kümmern mag. Diesen „K & K“ – Hausengel, der sich der Familie widmet.

Nein, für halbe Sachen stand diese Autorin und Frauenrechtlerin wohl nicht, eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen stand in der viktorianischen Zeit selten bis nie zur Diskussion. Damals mussten wohl drastische Mittel herangezogen werden, um Frauen Raum und Zeit für ihre berufliche Karriere ermöglichen.

Da ich offensichtlich ein Faible für altbekannte Wesenheiten in sämtlichen kulturellen Ausprägungen habe eigne ich mich mitsamt meinen mir bisher bekannten Persönlichkeitsanteilen schlecht zur Engelmörderin. Habe ich nun Anteile so in den Schatten verdrängt, dass er als Projektion andernorts wieder auftauchen wird? Als erfolgreiche Autorin, die ihren K&K-Hausengel mit dem Staubsauger aufgesaugt, ins Eisfach gesperrt, im Putzeimer ertränkt oder erbarmungslos das Klo hinuntergespült hat?

Ich blicke in die produktive story1-Runde und mag da niemandem etwas unterstellen, aber der enorme story-Output lässt meinen fidelen Hausengel nervös mit den Flügelchen schlackern. Ruckzuck wischen seine Federchen den Staub von den Regalen, im hektischen Vorbeiflattern.

„Schau her, da, die alle schaffen das, regelmäßig und gut zu schreiben“, raune ich ihm drohend zu. Zu mehr Aggression schaffe ich es einfach nicht, bevor es womöglich noch zur Kompensation in unaufgeräumte Ecken ginge.

Ich höre das Engelchen angstvoll mit den Zähnen klappern, während ich mich durch die vielen fantastischen Folgegeschichten klicke, die mehr und mehr werden und ich dadurch inzwischen beim besten Willen längst den Überblick verliere. „Und hier, schau, bei dem ist jetzt schon das 3. Buch fertig geworden! Wir sind übermorgen 1 Jahr dabei. Siehst du ein Buch im Account? Nein? Ich auch nicht. Und die magische 100 geht sich auch nicht mehr aus.“ Ich vernehme schuldbewusstes Seufzen. Vielleicht war es auch nur das Harfenspiel, die Kreativpause, um mich zu trösten.

Wie es erleichtert aufatmet, sobald ich in die heimisch-königliche Küche gehe und koche, um Körper und Geist unserer innigen Gemeinsamkeit gut zu versorgen! Während ich die frischen Tomaten in den Salat schneide, höre ich es ganz leise flüstern: „Schau, da liegt das Buch über Heinz S., frisch signiert für dich. Es geht doch auch MIT mir aufs Gedruckte!“ Aber Hallo, da hat es nun auch wieder recht! Dankbar gehe ich noch eine Runde Blumengießen.

Ach, liebe Virginia, zum Glück haben sich die Zeiten inzwischen geändert! Was hättest du wohl zu story1 gesagt?

Höre ich da ein helles Glöckchenlachen aus der Ferne?

© Musenzeit 2021-08-17

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