von Raimund Rolsberg
Stabilität, relative Sicherheit und Struktur sind mit einer Fahrkarte um den Preis von Euro 2,60 sehr leicht zu finden, zumindest für eine Lebenszeit von 30 Minuten.Etwa 24 Minuten dauert eine Fahrt mit der Straßenbahnlinie 52. Vom Westbahnhof bis in den tiefen, nicht sehr wilden Westen Wiens, nach Baumgarten, oder in die andere Richtung.Früher ist mir die Straßenbahnfahrt immer länger vorgekommen, das kommt wahrscheinlich davon, dass die 20 Stationen langsam angefahren werden, sich dazwischen Ampeln erheben, in ihrem zeitweiligen Rot. Es ist gar nicht so schlimm zu warten, der Stillstand und die nicht Bewegung ergeben etwas, das nicht durch Hektik zu erreichen ist. Atmen,langsam und sich seiner selbst bewusst zu sein, da ist das Herz, da ist die Lunge, da ist das Sehen und das Fühlen und das Atmen ,… da ist das am Leben sein. Oft vergesse ich darauf, bin so im Gedanken, dass mich mein eigenes Sein nicht berührt, bin dann in vorbeiziehenden Landschaften aus Sicht der Straßenbahn, auf dem einzelnen Platz der Straßenbahn zu sehen.Vergesse mich und den Tag, Monat, welcher in ein Jahr eingebettet ist. Ein Jahr im Jahrhundert, das in ein Jahrtausend zieht, aber das führt zu weit. Zumindest gedanklich. Vom Westen in die innere Stadt sind vereinzelte Mitfahrer innerlich zu begrüßen oder zu ignorieren. Ignorieren ist eine der Leistung von jahrelangen Versuchen. Man ignoriert Sitznachbarn,Diskussionen oder um es freundlicher zu formulieren, man gibt jedem seine Ruhe. Man gibt und nimmt von der Ruhe und lässt sie ohne Kosten auf freien Plätzen verweilen. Die Straßenbahn mit der Kennzahl 52 fährt unterdessen weiter, auf der einen Seite sind weitere Parks, auf der anderen Reklame, und Plakate von vergangen Veranstaltungen, bei manchen tut es mir leid, sie verpasst zu haben, aber was vorbei ist, ist wohl vorbei. Dann gibt es Augenblicke wo gar nichts ist, nur die Weite, die irgendwann nicht zu sehen war, abgerissen Stellen, auf denen einst Ruinen standen. Das alles macht mich nicht melancholisch, im Gegenteil, ich lächle vor mich hin, und das um so mehr, da keiner das Lächeln sehen kann, ich fühle es und angenehme Erinnerungen von so vielen Fahrten im 52er verbinden sich mit Nostalgien und vergangenen, die so viele sind wie Sommerregen, der manchmal an die breiten hellen Fenstern der Straßenbahn streichelt. Bald bin ich beim Westbahnhof, wenn es mir dann zu viel ist, dann bleibe ich einfach sitzen und fahre wieder in den Westen. Von Baumgarten geht es weiter zu Fuß, vielleicht zum Wienfluss ins Grüne. Vielleicht, es ist möglich, für eine weitere Fahrkarte um Euro 2,60 und mit viel Zeit, die in der Straßenbahn Linie 52 im Sitzen und ausgestreckten Beinen verbracht werden kann.Auch wenn es schon sehr lange so ist, dass ich nicht mehr täglich mit dieser Straßenbahn Linie unterwegs bin, beruhigt es zu wissen, dass sie täglich ihre Bahnen zieht. Sie verschafft nun anderen ihre Auszeit, und gewiss gibt es andere, die ähnlich wie ich empfinden und die Fahrten mit der Straßenbahnlinie 52 genießen. Vielleicht sitzt gerade einer darin und sieht aus seinem gesicherten Fensterplatz. Er fühlt ähnlich und reiht sich in einer Reihe weiterer Träumer, die von einem zum anderen Ziel gleiten.Auch sie werden einmal die Bahn für andere frei machen, unbewusst und ohne Druck. Doch die Straßenbahn wird hoffentlich noch in 100 Jahren ihre vertrauten Wege ziehen und an eine Vergangenheit erinnern, die nun Gegenwart ist.
© Raimund Rolsberg 2025-03-24