Strawberry fields forever

Eva-Maria Fontaine

von Eva-Maria Fontaine

Story

Zwillinge sind bekanntlich sehr kreativ, oft umtriebig, immer auf der Suche nach neuen Projekten und Erfahrungen. Nie wird einem langweilig mit einem solchen Menschen an seiner Seite. Viele Geschichten fallen mir ein, wenn ich an meinen Bruder, ebenfalls unter diesem Sternzeichen geboren, denke. Da war zuerst einmal seine große Liebe zur Musik. Durch ihn lernte ich die angesagtesten Bands, Sängerinnen, Sänger oder Jazzmusiker kennen. Im zarten Alter von 15 Jahren begleitete ich ihn zu Frank Zappa-Konzerten, lauschte den auf Vinyl gebannten Klängen des berühmten ‚Köln-Konzerts‘, begann wie er, eine Followerin der Beatles zu werden, wobei die Rolling Stones, Uriah Heep, Emerson Lake and Palmer, Jethro Tull und etliche mehr auch zu unseren Favoriten zählten. Fleißig sparte mein Bruder, um sich dank Nebenjob und Taschengeld die neuesten und angesagtesten ‚Scheiben‘ leisten zu können. Ich fieberte immer dem Moment entgegen, wenn er sich zum Kauf in den Plattenladen machte und mir dann stolz die neuen Lieder auf seinem kleinen Dual-Plattenspieler präsentierte. Die große Musikbox, im hinteren Teil des Wohnzimmers platziert, war nämlich für uns heranwachsende Teenies absolutes Tabu. Sie blieb, zumindest eine Zeitlang, für klassische Musik, für Mozart-Opern, Strauß-Operetten, Rudolph-Schock-Gesänge usw. reserviert. Wie gesagt nur eine Zeitlang, das heißt so lange, bis ich dem Märchen meines Vaters, das Abspielen unserer Pop-, Rock-, oder Jazzmusik schade der Nadel, nicht mehr glaubte. Während der Erzeuger sich dann in die oberen Gemächer zum Mittagsschlaf begab, hockte ich mich vor die gute Musikkommode, und sang leise mit John, Paul, George oder Ringo. In Gedanken war ich mit ihnen im Tintenfischgarten, durchfuhr das Meer im yellow Submarine oder durchstreifte die Erdbeerfelder, strawberry fields forever, ganz allein, fernab jeglicher väterlicher Bevormundung. Schade eigentlich, dass er nicht erkannte, wie sinnvoll mein Hobby war, nicht zuletzt auch für den Englisch-Unterricht und dass sich unser Verhältnis durch seine Verbote eher verschlechterte. Mein Bruder ging, angesichts solch väterlicher Einschränkung, andere Wege. Das Familienoberhaupt legte damals großen Wert auf Familienfeste. Besonders Weihnachten wurde lange vorbereitet. Meine beiden Geschwister und ich waren schon Wochen vor dem Weihnachtsfest mit dem Aufschreiben unserer eher bescheidenen Wunschliste beschäftigt. Als wir älter wurden reduzierte der alte Herr das Ganze, indem er mit uns Anfang Dezember in die Stadt fuhr und wir die Geschenke selbst aussuchen durften. Nachher wurde alles weggepackt in einen großen Schrank und erst kurz vor der Bescherung wieder hervorgeholt und in Geschenkpapier verpackt. Ordnung musste sein. Mein Bruder hatte bei den Weihnachtskäufen die neue LP von John Lennon ergattert. Neugierig und ungeduldig wollte er natürlich schon vor Weihnachten hören, was sein Lieblingssänger auf Vinyl gebannt hatte. Also schlitzte Willy kurzerhand das Cover mit einer Klinge auf, tauschte John’s neue Platte gegen eine Alte von Frank aus, verklebte alles fachmännisch und reichte dem Vater die neue LP zum Wegschließen. Mein Vater merkte nichts und wir lauschten schon im Advent voller Hingabe unserem Lieblingssänger. ‚Imagine all the people, living life in peace‘. Ja, diesen Frieden hatten wir damals noch, alleine im Keller, ohne Computer, nur mit Plattenspieler und Musik.

© Eva-Maria Fontaine 2025-05-24

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional