Strenge Therapien und glorreiche Rückfälle

Heinz Rappitsch

von Heinz Rappitsch

Story

Um meinem Alkoholismus und der Obdachlosigkeit zu entfliehen, nahm ich ein Angebot zu einer achtzehnmonatigen Therapie im Rahmen des Grünen Kreises an. Ich wurde nach Edlitz in die Bucklige Welt geschickt. Es war strenger als streng und schlimmer als Knast. Man bekam nur eine Tasse Kaffee am Morgen und eine zu Mittag. Brach man die Regel und trank eine zweite Tasse in der Früh, bekam man eine ganze Woche Kaffeeverbot.

Das Beste am Grünen Kreis waren die Tiere, die Kühe, Ziegen, Schafe, Hühner, Schweine und Enten, die wir hatten, sowie das Marathonlaufen. Es brachte mich nach Wien, Berlin und Venedig. Ich lief vier Stunden zwanzig. Nach etwa zehn Monaten brach ich die Therapie ab, fuhr nach Graz und lebte wieder auf der Straße. Etwa ein halbes Jahr darauf ließ ich mich von einer Ärztin dazu überreden, nochmals zum Grünen Kreis zu gehen. Ein paar Monate darauf brach ich wieder ab und lebte erneut in Graz auf der Straße. Ich hatte von den vielen strengen Regeln in der Therapiestation eine Auszeit nötig.

Mir wurde, nachdem ich zweimal eine Therapie abgebrochen hatte, im nächsten Jahr eine weitere auf der Kärntner Saualm ans Herz gelegt. Zuerst musste ich im Spital einen körperlichen Entzug durchmachen, der eine Woche dauerte. Das Haus auf der Saualm war eine ehemalige Pension und beherbergte rund zwanzig Klienten, die mehreren Süchten verfallen waren. Die meisten waren Alkoholiker.

Der Koch arbeitete besser als jener im Grünen Kreis. Dort hatten wir zudem an Wochenenden selber kochen müssen. Wir machten Ausflüge, etwa in die Tscheppaschlucht, wo wir über eine Hängebrücke beim Wasserfall schaukelten. Schwimmen waren wir in den Kärntner Seen. Wandern am Großglockner, wo wir von Heiligenblut zur Eberfelderhütte marschierten, dort übernachteten und am nächsten Tag auf den Gletscher gingen.

Wir waren segeln auf der Adria, weil Edi, einer der Betreuer, ein Segelboot besaß. Jeweils für eine Woche holte er eine Gruppe von fünf Leuten auf das Schiff. Wir segelten zwischen der Insel Krk und Pula herum. Es war wunderschön. Im Winter waren wir im Hallenbad schwimmen oder am Berg Skifahren.

Beim Klagenfurter Stadtfest, wo ich mich sehr amüsierte und viel tanzte, hatte ich einen Rückfall. Betrunken fuhr ich in die Therapiestation und wurde am nächsten Tag gefeuert. Wieder auf der Straße. Da ich mich am besten in Graz auskannte, fuhr ich dorthin.

Im Stadtpark, im Volksgarten oder am Steirerhof sah ich die alten Bekannten wieder, alle Alkoholiker. Nach einer Weile traf ich Christoph, einen freundlichen Polen, ebenfalls Alkoholiker, der eine größere Wohnung besaß und mich einlud, in dieser zu übernachten. Bei Schönwetter saßen wir gerne am Ufer der Mur, wo wir tranken. Eines Tages hörte ich eine weibliche Stimme rufen: “Bitte halten Sie den Hund auf!”

Das tat ich. Der Hund schmuste mich sogleich ab. Seine Herrin kam näher und mit mir ins Gespräch. Sie hieß Marianne. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag … zu einem Spaziergang an der Mur.

© Heinz Rappitsch 2022-02-28