Stress, der keiner war

Lorenz Graf

von Lorenz Graf

Story
Salzburg 2024

Meine liebe Gattin hatte mich eingeladen zu einem Besuch des Weihnachtsmarktes in der Salzburger Altstadt. Als seit vielen Jahren verheirateter Mann konnte ich dieses Angebot doch nicht ablehnen, obwohl mir die ruhige Winterzeit lieber war als die meist lauten Märkte. Immer wenn sie „I wish you a merry christmas…“ spielen, dann verlasse ich fluchtartig diesen Ort. Das gilt auch für die Geschäfte. Schneller bin ich dann draußen als die verdutzen Verkäufer es wahrnehmen können. Ich spazierte also an jenem Tag zwischen den bunten, mit unzähligen Lichtern beleuchteten Standeln, hindurch. Auf der einen Seite hielt ich die Hand meiner lieben Frau, auf der anderen Seite hielt mich unser Hund an der Leine. Die vielen Menschen gefielen mir, da die meisten strahlende Gesichter hatten und lachten. Das Angebot in den Holzhütten war beeindruckend vielfältig. Leider führte das dazu, dass mit zunehmender Fülle des Angebots meine Aufmerksamkeit und auch mein Interesse ausradiert wurde. Ich wurde leicht unruhig und schlug vor, in ein Gasthaus zu gehen und dort eine Kleinigkeit zu essen. Gesagt, getan. Wir wurden freundlich zu einem Tisch geführt. Ich bestellte, einer Esslust aus früheren Tagen folgend, einen Bauernschmaus. Natürlich war diese Köstlichkeit wieder zu viel, um sie ganz aufessen zu können. Aber wir haben seit längerer Zeit immer schon eine Box mit, damit wir Unverspeistes mitnehmen können. Später erfreue ich mich dann an einer `Mitternachtsjause` und auch unser Hund freut sich mit. Leiblich gestärkt und mit tausend Eindrücken, vielleicht waren es 2000, erreichten wir unsere warme Wohnung. Etwas müde ließ ich mich auf der Couch nieder und machte es mir bequem, halt nur so viel, wie es unser Hund zuließ. Auf der Couch wird er, sonst das friedlichste Tier der Welt, zum `Kampfhund`. Lange genoss ich die Ruhe, bis meine Tochter anrief und fragte, ob ich das Enkelkind vom Ballett abholen könne. Ich mache das gern und sagte zu. Um 18.00 Uhr machte ich mich auf den nahen Weg zur Ballettschule. Die kleine Emilia freute sich, dass der Opa sie abholte. Ich ging mit ihr zum Auto. Unterwegs fragte ich das Kind, wie der Tag war. Sie legte los: „Opa, in der Früh aufstehen – Stress, dann Schule – Stress, dann einkaufen – Stress, dann eislaufen – Stress und dann noch Ballett – Stress!“ Wow! Verglichen damit habe ich heute gar nichts getan, vom unbedeutenden Stress des Weihnachtsmarktbesuches abgesehen. Das Kind fuhr dann lachend fort: „Heute habe ich `Kick-Ball-chance` gelernt. „Ich kenne das“, antwortete ich. „In der Jugend haben wir damit Rock`n`Roll getanzt.“ „Aber ich kann es schon ganz gut, schau her!“ Dann zeigte sie mir am Gehsteig ihr neu erworbenes Können. Ich war sehr beeindruckt. Noch mehr aber faszinierte mich die Lebensenergie meine kleinen, 8-jährigen Enkeltochter. Ich brachte sie dann mit dem Auto nach Hause. Als wir in die Nähe ihres Hauses kamen, sah ich in der Dunkelheit die Umrisse einer Gestalt. „Das ist die Mama!“, rief die Enkelin. Erstaunlich sind die Fähigkeiten kleiner Kinder. Ich hätte nach so einem Tag in der Dunkelheit niemand erkannt. Das Kind habe ich abgeliefert. Mutter und Tochter bedankten sich und verabschiedeten sich freudig. Ich machte mich auf den Weg nach Hause und freute mich auf das Ausruhen auf der Couch. Ganz kampflos ging das nicht, den der Hund freute sich auch über mein Kommen sehr und hatte Freude, seine Kraft und Taktik mit mir messen zu können. Ein Tag mit Stress, der keiner war.

© Lorenz Graf 2024-11-23

Genres
Humor& Satire
Stimmung
Emotional, Informativ, Inspirierend, Unbeschwert