Stummelchen

Susanne Sayici

von Susanne Sayici

Story
Wien

Meine Tochter hatte ein Problem. Sie wurde gestalkt und geriet deshalb in Panik. Offenbar ging jemand in ihrer Wohnung ein und aus, wenn sie nicht zu Hause war. Gegenstände wurden verstellt, Dinge verschwanden. Als sie einmal gerade in der Schule war, lag ihr Handy im Spind, gleich beim Turnsaal. Es war eingeschlossen, niemand konnte das Handy herausnehmen. Trotzdem rief es mich zu Hause an. Natürlich war niemand am anderen Ende. Nur seltsame Geräusche waren zu hören. Nachdem immer wieder derart beängstigende Vorfälle aufgetreten waren, wurde uns klar: wie mussten etwas unternehmen.

Was tun? Der erste Schritt bestand darin, meinen Mann loszuschicken, damit er ein neues Schloss an der Türe anbringt. Sie wohnte in einer kleinen Zweizimmerwohnung in einem Gemeindebau, in der Nähe von uns. Gemeinsam mit ihrer Schwester war sie dort eingezogen. Nun lebte sie dort alleine, weil die Ältere sich nach zwei Jahren eine eigene Wohnung gesucht hatte. Seither gab es diese Probleme. Es gab zwar unten ein Haustor, doch dieses war nie abgesperrt. Die Wohnungstür hatte nur ein sehr altes Schloss, für einen Profi leicht zu knacken.

Mein Mann suchte sich einen Helfer. Von Türschlössern verstand er nichts. Sie bauten das Schloss aus und wollten das neu gekaufte einbauen, scheiterten jedoch kläglich. Ohne groß darüber zu reden, verschwanden sie einfach. Jetzt gab es gar kein Schloss mehr. Das war nicht zielführend. Es blieb also wieder an mir hängen. Ich besorgte einen Schlosser, der die Wohnungstüre mit einem guten Schloss versah. Trotzdem gingen die seltsamen Ereignisse in der Wohnung weiter. Da kam ich auf eine glorreiche Idee: „Willst du einen Hund haben?“, fragte ich. „In solchen Situationen ist ein Hund immer gut.“ „Ja! Natürlich!“, antwortete sie.

Schon bald fand sie einen kleinen, jungen Hund im Internet. Basil, damals noch Stummelchen genannt, weil er einen zu kurzen Schwanz hatte. Wir fuhren zu den Tierschützern, die seine Mutter aus Griechenland geholt hatten. Das arme Hundemädchen hatte dort unter schrecklichen Bedingungen leben müssen. Sie war selbst noch fast ein Welpe. Vier Junge hatte sie in Wien zur Welt gebracht. Zwei Buben und ein Mädchen. Als wir uns setzten, fielen die kleinen Racker über uns her und bissen uns in die Zehen. Das war ziemlich schmerzhaft. Man musste die Füße vor ihnen verstecken, weil sie es immer wieder versuchten. Damit wir uns in Ruhe einen der Hunde aussuchen konnten, steckte man sie in eine Gehschule für Babys. Meine Tochter beugte sich über den Rand und betrachtete die Kleinen. Ein Mädchen heulte ständig, eine schlief und Stummelchen lief direkt in Richtung meiner Tochter. Sie freute sich: „Er hat mich ausgesucht! Den nehmen wir!“ Gesagt, getan. Sie nahm ihn hoch und entführte ihn seiner Mutter. Um ihre anderen Kinder wird sie vermutlich geweint haben. Um dieses vielleicht nicht. Denn Stummelchen stellte sich als einziges ihrer Kinder gegen sie, erklärte uns lachend die Tierschützerin. Was das für uns bedeutete, begriffen wir erst später. Ach, hätten wir doch die Heulsuse genommen, hörte ich dann öfter von meiner Tochter. Doch es war zu spät. Umtausch ausgeschlossen.


© Susanne Sayici 2024-02-03

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Komisch, Unbeschwert
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