Sturheit und Schreiben

Raphael Stompe

von Raphael Stompe

Story

Ich hatte letztens ein teilenswertes GesprĂ€ch mit einer Freundin. Also, falls ihr Lust habt, entfĂŒhre ich euch in den folgenden Zeilen kurz dorthin. Stellt euch vor, ein warmes Wiener Kaffeehaus, eine Torte, so eine mit Erdbeerglasur, steht auf dem Tisch, der Duft mischt sich mit dem von warmem Tee und da sitze ich, mĂŒde, in einem weinroten Hemd gekleidet und mit einem Notizbuch in der Hand. Mir gegenĂŒber sitzt eine sehr adrette Frau, blond, groß, sportlich. Sie beobachtet mich jetzt schon seit zwei Minuten, seit mein Kugelschreiber auf der Seite aufgesetzt hat und ich wie wahnsinnig begonnen hatte Notizen ĂŒber ein neues Abenteuer von Tod (Nein, das ist nicht Wiener Tradition – also vielleicht schon – aber eher Terry Pratchett Tradition. Man muss ja sein großes Vorbild dort oben oder unten zum LĂ€cheln bringen) niederzuschreiben. LĂ€chelnd schaue ich auf das hinab das Tod bald erleben wird. Habt ihr schonmal darĂŒber nachgedacht, was passiert, wenn ein Hai stirbt? Kommt dann ein Haitod? Sie sieht konzentriert auf meine Notizen, dann rĂ€uspert sie sich.

„Weißt du, ich habe auch mal geschrieben.“

„Aja?“ frage ich, meine Gedanken sind gerade bei Tod unter Wasser.

„Ja, aber irgendwie hat das aufgehört. Ich hab so viele Texte begonnen und dann nie weitergeschrieben.“

„Ja, das kenn ich.“

„Wie, du kennst das? Du hast doch letztens sechs Kurzgeschichten innerhalb von einem Tag rausgehaut, wie ein Maschinengewehr.“

Ich seufze. Ja, das hatte ich wirklich, aber danach war ich einen Tag kreativ ausgebrannt. Wenn ich meine Romane schreibe passiert das nicht, aber unabhĂ€ngige Geschichten in der Menge in dem Zeitraum – dafĂŒr war mein Gehirn noch nicht bereit.

„Ich wĂŒnschte ich hĂ€tte deine KreativitĂ€t.“

Ich nehme einen tiefen Schluck von meinem Tee und sehe sie nachdenklich an. Dann setze ich die Tasse ab, nehme mein Notizbuch in die Hand und schlage die erste Seite auf. “Angel of Death”. Die erste Seite, die ich von meinem Roman geschrieben hatte, damals noch analog. Ich halte ihr das Buch wortlos hin. Sie nimmt es zögernd und beginnt zu lesen. Als sie ungefĂ€hr bei der HĂ€lfte ist seufze ich. „Das, was du da liest, ist jetzt zehn Jahre alt. Mein Schreibstil? Jein, nicht mehr. Meine Art zu erzĂ€hlen? Auch nicht mehr. Bin ich deshalb weniger stolz darauf? Nein. Ich liebe die Geschichte. Ich liebe sie ĂŒber allen Maßen. Hat es Momente gegeben, in denen ich aufhören wollte? Sowas von. Aber ich habe einfach weitergeschrieben und mich am Ende um all die Fehler gekĂŒmmert. Auch wenn tagelang nur Wortdampf aus mir herauskam, habe ich geschrieben. Weil ich wusste, dass ich irgendwann so weit kommen wĂŒrde, dass ich all meinen literarischen Vorbildern wĂŒrdig sein könnte. Wenn ich nur nicht aufhöre. Darum nimm dir irgendwas und schreib. Schreib, egal was, warte darauf, dass du in den Flow kommst und reite die Welle. Es ist kein Kunstwerk, es ist hauptsĂ€chlich Sturheit.“

Inzwischen schreibt sie wieder und ich habe das GefĂŒhl, dass Terry oben auf mich herablĂ€chelt.

© Raphael Stompe 2022-10-21

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