Süditalien – Abbruch oder Fortsetzung?

Stefanie Jirgal

von Stefanie Jirgal

Story

Bist du mit dem Segelboot unterwegs, kannst du nicht einfach stehen bleiben, auf die Seite fahren oder eine Pause machen. Du bist auf Langstrecke ununterbrochen unterwegs. Michael und ich lernen in Wacheschichten zu arbeiten, die Segel gemeinsam zu bedienen und uns bei der Navigation gegenseitig zu unterstützen. Die erste lange Überfahrt von Griechenland nach Italien wird zur Zerreißprobe. Die Katze und die Kinder übergeben sich wegen Seekrankheit regelmäßig und auch ich liege flach die erste Nacht. Die Wellen und Windsituation sind extrem unangenehm. Unsere Hakuna Matata stöhnt, ächzt, schlägt, stampft und rollt durch die Wellen. Sie ist hart im Nehmen, doch wir sind all das nicht gewöhnt. In der dunklen, gespenstischen Nacht am Deckboden liegend begrabe ich unseren Traum. Wir wollen vielleicht doch zu viel. Wir muten uns zu viel zu. Wir schaffen es nicht.

Michael hält die erste Nacht allein Wache, ich löse ihn erst in den frühen Morgenstunden ab. Das Meer beruhigt sich schön langsam, der Schwell wird lang gezogener und dadurch nicht mehr so ruppig. Viele Stunden liegen noch vor uns, die Sehnsucht nach dem sicheren und ruhigen Hafen wird endlos groß.

Erleichtert machen wir kurz nach Mitternacht an der Tankstelle in Rochella Ionica fest. Wir sind tatsächlich in Italien angekommen. Die Weite des Meeres wirkt auf uns beruhigend und beängstigend zugleich. Noch fühlen wir uns an Land sicherer, noch sind wir keine Seeleute geworden.

In Kalabrien verbringen wir eine sehr schöne, harmonische Zeit mit allerhand kulinarischer Highlights. Der erste Espresso nach dieser anstrengenden Überfahrt bleibt mir ewig im Gedächtnis. Der Geschmack ist eine heilige Eingebung. Nach einer Woche Genuss mit Radfahren, Strand, Kulinarik und Babykatzen füttern in der Marina zeigt sich ein Wetterfenster für die Fahrt Richtung Sizilien. Wir möchten mehr Training im Umgang mit dem Boot. Daher wird Segellehrer Hans in Catania an Bord kommen. Diesen Termin gilt es einzuhalten.

Hier in Italien sind wir sehr mit uns selbst und unserer Identifikation als Crew beschäftigt. Kaum Themen des Weltgeschehens dringen zu uns durch. Doch vor einem können (und wollen) wir auch nicht die Augen verschließen: Die Marina von Rochella Ionica ist voll mit beschlagnahmten Flüchtlingsbooten bzw. Schlepperbooten. Eindeutig erkennbar an Markierungen und den zurückgelassenen Gegenständen an Bord.

Die Fragen lassen uns nicht los: Wie würden wir uns verhalten, wenn wir einem besetzten Boot im Mittelmeer begegnen? Welche Hilfe könnten wir leisten? Was ist richtig? Was ist falsch? Was ist unsere Aufgabe und werden wir Unterstützung erhalten oder selbst zur Zielscheibe der Behörden werden?

Bei der Fahrt Richtung Sizilien ist uns das Wetter wohlgesonnen und wir kommen gut voran. In Tagesetappen fahren wir die süditalienische Küste entlang und überqueren bei ruhigen Verhältnissen das Ende der Straße von Messina. Ahoi Sizilien! Ahoi neue Erfahrungen!

© Stefanie Jirgal 2022-11-14

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