von Gerhard Maier
„Die Riesin von Ridnaun, die kennst du sicher, du mit deinen Südtiroler Wurzeln!“, sagte ein Freund zu mir. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen, bald war das Buch „Die Riesin von Ridnaun/Edition Raetia“ ausgelesen.
Maria Faßnauer wurde 1879 in Ridnaun bei Sterzing geboren und fiel bald durch ihre Körpergröße auf, die nach offiziellen Angaben 2,27 m erreicht hat. Das sprach sich auch außerhalb Tirols herum, weshalb ihre Eltern von Agenten bedrängt wurden, das Mariedl gegen Bezahlung für Kuriositäten-Ausstellungen herzugeben.
Ab 1906 tourte Mariedl in Begleitung ihrer normalwüchsigen Schwester Rosa durch halb Europa bis London. Am Oktoberfest 1906 in München gab es ein Plakat „Großes afrikanisches Dorf – Wettreiten der Marokkaner – Mariedl, die Riesin aus Tirol“. In den nächsten 7 Jahren trat sie mit anderen „Kuriositäten und Abnormitäten“ auf, mit ihr unter Vertrag waren die „Mexikanischen Mikrocephalen“, drei deutsche Geschwister mit Vogelköpfen. Die Werbetrommel um Mariedl wurde kräftig gerührt. Ein australischer Riese war als ihr Bräutigam im Gespräch, mit dem sie ein Riesengeschlecht zeugen wolle. 1913 hörte sie mit ihren Auftritten auf und verstarb 1917 in ihrem Heimattal, das damals noch zur Doppelmonarchie Österreich-Ungarn gehörte.
Das kuriose Leben der „Riesin aus Ridnaun“ inspiriert mich, eine Verbindung zum „Londter-Mandl“ im Eggental herzustellen, dem ebenfalls eine kuriose Lebensgeschichte nachgesagt wird. Der kleine Bozner, unser Urgroßvater Franz Schmid, und die große Ridnaunerin lebten zur selben Zeit in Südtirol, er war 20 Jahre alt, als sie geboren wurde. Ob sich die beiden jemals gesehen haben, ist nicht überliefert. Diese Geschichte allerdings schon, die im Eggental nach über hundert Jahren noch kursiert: Urgroßvater wettete, dass er ins Nachbardorf Welschnofen nur über die Bäume in die Kirche „gehen“ könne. Das musste scheint’s im Winter stattfinden, damit ihn eventuelle Fußspuren im unübersichtlichen Bergwald verraten würden, eine Kommission begleitete ihn. Die Wette hat er jedenfalls gewonnen, er schwang sich wie ein Eichkatzl von Wipfel zu Wipfel. Die Eggentaler Familienchronik beschreibt den Weg: vom Kob durch das Kleatol zum Schmiemuch, dem heutigen Löwenwirt in Welschnofen.
Urgroßvater war ein geschickter Zimmerer, flink hat er viele Dachstühle im Eggental aufgestellt. Sein Markenzeichen war „Bam stian“, der Kopfstand auf der Firstpfette seiner neuen Dachstühle. Beim Bau des Kinistodl in Rauth kippte der Baum, sein Kunststück ging schief und er landete am Gartenzaun.
Beim Schießstand in Rauth ereignete sich ein tödlicher Unfall, als Giorgio Paluselli zu früh an die Scheibe trat und von einer späten Kugel des Urgroßvaters getroffen wurde. An Giorgio erinnert das Welsche Kreuz.
Franz hatte mit seiner Frau Theresia 16 Kinder, 1938 ist er im Alter von 79 gestorben. Man fand ihn auf dem Weg zur Arbeit tot auf einer Bank sitzend, das Zimmererbeil unterm Arm.
© Gerhard Maier 2020-03-27