von Lena Haider
Eigentlich hat Henriette mit Drogen nichts am Hut. Also mit illegalen. Das Achterl Rotwein, aus dem an manchen Tagen zwei werden, gilt ihr als Medizin fürs Herz. Selbst die vermeintlichen Cannabisstauden neben dem Komposthaufen stellen sich bei näherer Betrachtung als Vogelhanf heraus. Das mussten auch die beiden Nachbarsburschen schwer enttäuscht feststellen, als sie eines Nachts über Henriettes Gartenzaun kraxelten, um diese abzuernten. Henriette also doch keine heimliche Drogenbaronin.
Geraucht hat sie ohnehin nie, kein Gras uns schon gar kein Nikotin. „Schad ums Geld und schad ums Hirn“, hat sie jedes Mal zu Hans gesagt, sobald dieser das Tabakpäckchen aus seiner Brusttasche zog. Hans war immerhin kein Sucht-, sondern ein Genussraucher. Das hat er halt stets behauptet. Nikotin schädigt nachweislich so einiges im menschlichen Körper, auch das Gedächtnis. Eben dieses ist Henriette heilig, denn wie soll man sich auf sich selbst verlassen können, wenn man die eigene Erinnerung vergisst?
An das Rezept für Tante Annas Gewürzkekse jedenfalls erinnert sich Henriette genau: 400g Mehl (vorzugsweise Dinkel), 200g Mandeln (gemahlen), 150g Zucker, 250g Butter, 2 Eier. Dann die fein gemahlenen Gewürze untermischen: 20g Zimt, 20g Muskatnuss, 10g Nelken. Alle Zutaten gut verkneten. Kurz kühl rasten lassen. Anschließend den Teig 3mm dick ausrollen. Kekse ausstechen, aufs Blech legen und ca. 15 Minuten bei 180 Grad Ober-/Unterhitze backen. „Nur drei bis fünf Kekse täglich!“, hat ihr die Annatante eingebläut. Das sei die perfekte Dosis „für ein entspanntes und fröhliches Gemüt“.
Henriette sitzt auf dem Bankerl hinter dem Haus, die Schultern liegen sanft an der spröden Ziegelwand auf, die Augen geschlossen, den Kopf Richtung Himmel gerichtet. Jeder einzelne Sonnenstrahl dringt tief durch die Poren von Henriettes Haut, direkt in die Blutbahn. In ihrem Innenohr summt leise eine beschwingte Melodie. Das goldene Licht erzeugt ein magisches Schauspiel in allen Farben auf der Innenseite ihrer Augenlider. Ein Tanz der Nordlichter auf Henriettes Netzhaut. Mit jedem Atemzug atmet sie das Bankerl, das Haus und die Sonne tief ein und wieder aus. Dann wird sie selbst von der Sonne eingeatmet, in einen gelben Bauch. Keine brennende Hitze, sondern vielmehr eine wohlige Wärme breitet sich in ihrem Körper aus, von jeder einzelnen Zehe bis in die Haarspitzen.
„Für ein fröhliches Gemüt“, kichert Henriette mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Sanft streichelt sie der schwarzen Katze, die es sich auf ihrem Schoß gemütlich gemacht hat, übers Fell. Schnurrend legt diese ihren Kopf auf Henriettes Bauch. Das Bankerl, das Haus, die Sonne, Henriette und das pulsierende schwarze Fellknäuel: Alles ist eins, alles fließt ineinander ohne Anfang, ohne Ende. Henriette greift schmunzelnd in die runde Blechdose. Eines noch. Ein allerletztes. Dann ist es aber genug.
© Lena Haider 2021-04-24