von Sadda Mar
In 15 Minuten Fußweg von unserem Hof in Richtung Berge liegt ein Dorf, das aussieht wie aus einer anderen Zeit. Die winzigen Steinhütten und die riesigen Felsblöcke, die die Gletscher vor tausenden Jahren von weiter oben mitrissen, verschmelzen miteinander. Ein Material, ein Guss, ein Dorf, wie für Steinwesen oder Zwergenbewohner gemacht. In der Mitte von “La Balma”, liegt der namensgebende Felsbrocken, so groß wie eine Kirche, auf seinem höchsten Punkt ein Kreuz, durch seine Mitte ein blitzförmiger Riss. Als ich “La Balma” zum ersten Mal über die steingepflasterten Pfade betrete, bin ich sofort verzaubert von diesem besonderen Ort. Ist das wirklich echt, oder ist das Filmkulisse?
Mit dem Jeep geht es noch weiter nach oben, wir lassen das Dorf hinter uns und rütteln und rattern über einen Weg, der normalerweise nur für Füße gemacht ist, sicher nicht für Autos. Der Bauer genießt es, uns über die “Holperdiepolperstraße” zu chauffieren, auf seinem Gesicht ein verschmitztes Grinsen, in seiner Brust das Herz eines Ralleyfahrers. Ich vertraue ihm, der Motor heult auf, wir werden hin- und hergeworfen, die Welpen im Kofferraum haben sich bereits vor Angst erleichtert. Sie sind der eigentliche Grund, warum wir an diesem Abend noch einmal aufbrechen und uns zur Sennhütte aufmachen. Sie liegt auf der höchsten Almebene, ganz oben, mit herrlichem Blick auf den Monte Leone und einer wundervollen Lerche mitten auf der weiten, saftigen Wiese – Idylle pur. Morgens standen die Welpen plötzlich schwanzwedelnd und tollend vor unserer Hütte, waren Wanderern bis nach unten zu uns gefolgt. Und nun bringen wir sie zurück zu ihren Besitzern. Den Grund für ihr Weglaufen und Mitlaufen bis zu unserer Hütte sollten wir erst einige Tage später erfahren- denn die Senner oder Almhelfer sind kurz angebunden, bitten uns nicht herein und nicken nur flüchtig ein Danke. Dafür kehren wir in La Balma ein, und in der winzigen Wohnstube fühle ich mich tatsächlich wie in einer Zwergenwohnung. Es gibt Rotwein und Kuchen “de la Mama”, ich bin berührt von der Gastfreundschaft. Während sich die Frauen in der Küche aufhalten, sitzen am Tisch lauter Männer und ich, sie brüllen auf wildem Italienisch und ich verstehe kaum ein Wort, außer dass Hitler einen großen Vogel hatte. Da stimm ich zu. Wahrscheinlich brachte sie meine Herkunft assoziativ auf dieses Thema.
Insgeheim danke ich dem Bauern, dass er mich hierher mitgenommen hat. Genau beobachte ich die Einheimischen, ihre zerfurchten, braungebrannten Gesichter, ihre großen, kraftvollen Hände und sauge alles auf.Ein seltsam schöner Abend.
© Sadda Mar 2021-10-10