von Mary Modl
Seit Ende August beobachte ich sie, die tagtĂ€glich ihr Leben am seidenen Faden hĂ€ngend riskiert. Ihr wahrlich vollendetes Werk, das sie bevorzugter Weise unter DĂ€chern, an HauswĂ€nden, in Ecken und ĂŒberall dort, wo es schwierig ist, hinzukommen, hinterlĂ€sst, ist beinahe ein Kunstwerk. Sie bei dessen Entstehung zu beobachten, fasziniert immer wieder aufs Neue. Ein stoisches Beobachten.
Faszinierend wie Mutter Natur fĂŒr all das in ihr Kreuchende und Fleuchende sorgt; wie sie ihnen genau das an guten Gaben zur VerfĂŒgung stellt, was sie brauchen, um zu ĂŒberleben. So wie meiner Hildegard, die sich â als guter Geist â quasi bei uns durch alle Ecken und Enden spinnt. Ich habe sie als Wespen- oder auch Zebraspinne enttarnt. Sie ist eine giftige, aber zu wenig, um dem Homo Sapiens zu schaden. Vice versa ⊠denn sie hat auch vor einer durchaus nicht ganz ungiftigen nichts zu befĂŒrchten.
Jedes Jahr nistet sich solch ein Spinnenwesen irgendwo bei mir ein, mir den SpĂ€tsommer ankĂŒndigend. Riesige im letzten noch wĂ€rmenden Sonnenlicht leuchtende Spinnennetze sind âdieâ Symbole fĂŒr ihn, den Altweibersommer. Bei uns meint der Volksmund ganz nonchalant, es sei auch die Zeit, der spinnenden alten Weiber; wobei spinnend nichts mit dem RĂ€dchen zutun hat.
Das ist einfach meine Zeit! Ich liebe dieses saisonale Stadium der Metamorphose und Transformation; diese Ăbergabe des Erbes des Sommers an seinen Nachfolger den Herbst. Diese reiche FĂŒlle an natĂŒrlichen Gaben; sowohl der Natur als auch des Menschen. Ăppige, sich tief zum Boden neigende Zwetschen- und BirnbaumĂ€ste, die dir zum GruĂ und Genuss die Hand reichen; Ăpfel rotbackig-gsund dich anlachend, die dir beinahe in den Korb fallen wĂŒrden, machtest du dir die MĂŒhe, sie brocken zu wollen. Allein die mannigfaltigen DĂŒfte, die uns diese Zeit beschert, verzaubern den Geruchssinn⊠und sie transformieren dich in einen Zustand stoischer Ruhe des Beobachtens und Aufnehmens mit allen Sinnen.
FĂŒr mich prĂ€sentiert sich mein Weinviertel zurzeit in seinem schönsten Kleid. WeingĂ€rten, die sich sanft hĂŒgelig dahinschlĂ€ngeln, bereit sich ihrer Reben auch dieses Jahr wieder sehr erfolgreich berauben zu lassen. Sonnenblumenfelder noch nicht abgeerntet, auf denen die langstieligen BlumenhĂ€lse nicht mehr imstande sind, ihre ausgetrockneten Köpfe dem Licht entgegenzurecken ⊠wirkend, als ob sie sich vor der Sonne GĂŒte, ihnen so zahlreiche Strahlenstunden geschenkt zu haben, verneigen wollten. Kleine Weiher, an deren Ufern WeiĂdorn- und HagebuttenfrĂŒchte rotfunkelnd zu erspĂ€hen sind; ein paar Pfarrerkapperl versuchen ihr Rosa-Orange ins Wetteifern der natĂŒrlichen Couleurs ins Rennen zu schicken. Und auch schon eine wunderbare Vielfalt an Herbstfarben, die Wald und Flur in ein Augenschmausspektakel vom Feinsten verwandeln.
Mit zunehmenden Jahren werde ich empfĂ€nglicher dafĂŒr, im AlltĂ€glichen das Wunderbare zu erkennen. Angeblich bestehe gerade darin die wahre Lebenskunst.
© Mary Modl 2021-09-20