Tage des Schriftstellers: Social-Media-Falle

Kreative-Schreibwelt

von Kreative-Schreibwelt

Story

Ich hatte mir vorgenommen, an diesem Nachmittag endlich Fortschritte zu machen. Kapitel fünf wartete, und in meinem Kopf hörte ich die Figuren schon ungeduldig mit den Füßen scharren. Um mich selbst ein bisschen zu motivieren, beschloss ich, kurz ein Schreib-Update auf Social Media zu posten. Nur ein Foto von meiner Kaffeetasse, Ernest im Hintergrund und dem Titel: »Heute geht’s weiter – 2.000 Wörter, ich komme!«

Ich öffnete die App. Drei Stunden später wusste ich, wie man Möbel aus Paletten baut, wie man eine Avocado fünf Tage frisch hält und warum zehn Gründe gegen mein Sternzeichen sprachen. Mein Roman hatte währenddessen keinen einzigen neuen Satz bekommen.

Ich blinzelte auf den Bildschirm und fragte mich ernsthaft, wo die Zeit geblieben war. Ernest starrte mich vom Fensterbrett aus an. Ich schwöre, er wirkte vorwurfsvoll. »Na komm schon«, murmelte ich. »Du hättest doch auch wissen wollen, wie man ein Hochbeet in drei Schritten baut, oder?«

Natürlich schwieg er.

Mein Handy vibrierte. Max schrieb: »Und? Bist du schon durch?«
Ich starrte auf die Nachricht, als hätte er mir heimlich über die Schulter gesehen. »Bin gleich fertig!«, log ich.

Dann scrollte ich weiter, stolperte über ein Video: »Wie du in 5 Minuten produktiver wirst!« Das musste ich sehen. Zehn Minuten später hatte ich gelernt, dass ich mein Handy weglegen sollte. Ironie des Schicksals.

Ich stand auf, ging in die Küche, machte mir einen Kaffee und schwor mir, jetzt wirklich zu schreiben. Zurück am Schreibtisch öffnete ich mein Dokument. Leere Seite. Der Cursor blinkte wie ein kleines, höhnisches Metronom.

»Okay«, sagte ich zu Ernest, »die Wahrheit ist: Ich habe heute mehr über Palettenmöbel gelernt als über meine eigenen Charaktere.« Ich stellte mir vor, wie meine Hauptfigur in Kapitel fünf genervt die Arme verschränkte und fragte: »Bauen wir jetzt ein Sofa oder wie?«

In diesem Moment klopfte es, und Max kam herein – mit einer Tafel Schokolade in der Hand. »Ich wusste es«, sagte er, »du sitzt hier und scrollst dich in eine Sinnkrise.«

Ich seufzte. »Du hast ja keine Ahnung, wie viele Möglichkeiten es gibt, ein Regal aus Obstkisten zu bauen.«

Max lachte, legte mir die Schokolade hin und schaltete mein Handy aus. »Hier. Schreib. Wenn du fertig bist, kannst du dein Regal bauen.«

Ich blickte von der Schokolade zu Ernest. Vielleicht war das mein einziges Social-Media-Update für heute: »Überlebt dank Kakao und Kaktus.«

Und dann schrieb ich tatsächlich den ersten Satz von Kapitel fünf.

© Kreative-Schreibwelt 2025-09-10

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich, Herausfordernd, Komisch, Hoffnungsvoll, Inspirierend
Hashtags