Tagebuch eines Träumers – Kapitel 2

14.04.1952

Ich bin froh darüber, dass die Medikamente, die mir der Nervenarzt gegen meine Insomnie verschrieben hat, endlich zu wirken begonnen haben. Was meinen Geist allerdings noch immer plagt, sind die wiederkehrenden Träume, die mich in erster Linie vom Schlafen abgehalten haben. In eben jenen Träumen gleite ich durch ein Meer aus Farben und Formen, wobei ich weder das eine noch das andere akkurat beschreiben könnte, weil ich weder die Farben noch die Formen je in der wachen Welt gesehen hätte. Aufgrund des Fehlens besserer Worte oder Umschreibungen würde ich beides als perfekt bezeichnen. Und während ich durch dieses Meer aus perfekten Formen und Farben gleite, kann ich in meinem Augenwinkel eine sich schnell ausbreitende Leere wahrnehmen, die alles verschlingt. Und jedes Mal, bevor mich diese Schwärze erreicht, wache ich auf.

18.04.1952

In nachfolgenden Gesprächen mit meinem Nervenarzt und auch bei meinen eigenen Recherchen bin ich immer wieder auf die Technik des Klarträumens oder auch luziden Träumens gestoßen. Mit dieser Technik soll ein Zustand erreicht werden, in dem der Träumende sich der Tatsache, dass er träumt, bewusst ist und er auch direkten Einfluss auf den Traum selbst hat. In den folgenden Wochen habe ich es mir zur nächtlichen Aufgabe gemacht, diese Technik zu erlernen, da mich meine perfekte Traumwelt und die darin enthaltenen Farben und Formen mit einer Neugier erfüllen, die schon an Besessenheit grenzt.

09.05.1952

Nun ist mir nach 3 Wochen endlich ein Durchbruch gelungen. Als ich letzte Nacht eingeschlafen bin, fand ich mich in meiner Welt aus unaussprechlichen Farben und Formen wieder. Mittlerweile war mir bewusst, dass ich träume und meine Versuche, mich in dieser Welt fortzubewegen, waren ein Erfolg. Langsam, aber stetig glitt ich durch die Farben, vorbei an faszinierenden Formen, die mir bei näherer Betrachtung beinahe organisch erschienen. Während ich mich weiter auf den von mir bestimmten Ursprung des Farbenmeeres zubewegte, bemerkte ich vor lauter Aufregung die sich ausbreitende Leere nicht, bis sie mich einholte und ich mich erschrocken in der wachen Welt wiederfand.