Heute ist der schlechteste Tag zum Arbeiten.
Heute ist einer der Tage, an denen ich mir das Meer vorstelle. Einer der Tage, an denen ich Italien und Basilikum in meinem Zimmer riechen kann. Heute ist einer der Tage, an denen ich den Sand unter meinen Füßen spüre und das Rauschen des blauen Wassers am Azowschen Meer höre.
Ich laufe am Strand und höre einen Mann „Tschychtschala“ rufen. Er verkauft die Süßigkeiten aus Nüssen gereiht auf einer Schnur, ummantelt von getrocknetem Fruchtsaft. So läuft er den ganzen Tag die Küste entlang. Von der brennenden Sonne des Sommers ist seine Haut dunkelbraun geworden und hat eine lederartige Struktur angenommen. Manchmal laufen ihm Kinder hinterher. Er macht einen kurzen Stopp, packt seine Ware aus, kassiert das Geld und läuft weiter. Nun ist er aus meiner Sicht verschwunden.
Jetzt liege ich in einer kleinen Bucht, tauche den Kopf unter das Wasser. Ich bin wie ein Delphin, ich höre eine Welle kommen: Der Sand raschelt, etwas piept, die Sonnenstrahlen fallen auf die oberste Wasserschicht und streuen sich. Das Wasser ist warm wie eine Wolldecke im Winter. Ich tauche wieder auf. Die Außenwelt prallt auf mich ein: Die Geräusche sind laut, die Sonne brennt. Ich tauche wieder unter. Ich schaue die Sandkörner an, die von der leichten Strömung hochgewirbelt wurden, das Wasser wird trüb.
Heute ist der schlechteste Tag zum Arbeiten.
Heute ist der Tag, an denen ich die Hand nach dir ausstrecke und dein Gesicht vor mir vorstelle. Heute sitze ich mit dir auf der Couch, wir beide halten ein Glas Wein. Ich trage ein blau-weiĂźes langes Sommerkleid und du eine blaue Hose und ein weiĂźes Hemd. Wir reden ĂĽber Gott und die Welt, darĂĽber wie der Wein riecht, wohin uns die Musik im Hintergrund mitnimmt. Wir reden ĂĽber den Urlaub, den blauen Himmel und das blaue Wasser von Portugal, Kreta, Norwegen und Italien.
Wir schauen uns tief in unsere leuchtende Augen, wir lächeln, wir reden, doch ich glaube im Kopf sind wir schon viel weiter. Ich sitze bereits auf deinem Schoß, mein Kleid verdeckt deine Beine und fällt zum Boden. Ich beuge mich zu dir und küsse deine Lippen, ganz leicht und dann mit Nachdruck und viel Leidenschaft. Du trägst mich bereits in ein anderes Zimmer. Unser Geist ist uns voraus, aber wir sitzen immer noch auf der Couch und reden, und reden.
Heute ist der schlechteste Tag zum Arbeiten aber der beste Tag, um in die Träume einzutauchen.
© Dr. Julia Tschirka 2021-07-28