von Ferry Nielsen
Wir müssen uns klarmachen, wo wir gerade stehen. Wir haben immer eine Wahl. Die Schritte sind natürlich und elegant. Individuell und improvisiert. Keine festgelegten Schrittkombinationen, sondern eine bewusste Wahrnehmung der Körperhaltung, der Achse. Wir tanzen die Musik, nicht die Schritte. Jeder, der vorgibt, gut zu tanzen, denkt niemals über die Schritte nach, die er machen wird. Er konzentriert sich darauf, der Musik zu folgen. Wir sind Maler, wir malen die Musik mit unseren Füßen. Musiker spielen ein Instrument mit ihren Händen. Tänzer benutzen ihre Füße. Das Becken ist ein wichtiger Körperteil. Das Zwei-Achsen – System. Flexibilität. Gerade Linien. Flüssiger Gang. Gewichtswechsel. Die Wirkung der Musik. Andere Frequenzen. Soziales Miteinander. Dreidimensionales Bewegen. Embodiment. Körpersprache.
Ich vermute manchmal, dass eine Person, die schnell tanzt, versucht, ihre Fehler zu verstecken. Aber ich glaube, dass der Tänzer, der langsam tanzt, dies tut, weil er sich zu 100 % sicher ist, dass, das, was er macht, perfekt ist. Ich tanze bei Milongas nur einige ausgewählte Tangos. Wenn ich müde bin, setze ich mich hin und schaue zu – das mache ich lieber, bevor ich schlecht tanze. Ich tanze nur zur Inspiration durch die Musik. Ich versuche es. Ich brauche Inspiration. Als Erstes brauche ich die richtige Musik, und dann muss ich die richtige Partnerin finden. Sehr wichtig. Und das ist das Schwierigste. Wenn ich die richtige Partnerin nicht finde, tanze ich nicht. Wenn ich die Musik nicht mag, dann tanze ich nicht. Und ich lerne weiterhin Tango, obwohl man ihn nicht lernen kann – genau wie das Leben. Negative Spannungen und Energien einfach weg-tanzen. Tango als emotionaler Blockadelöser. Tangounterricht kann Entwicklungen anstoßen und auch Heilungseffekte erzielen. Die Körperhaltung wird verbessert, und das Paar ist im kommunikativen Austausch mit den anderen in der Gruppe. Tango wirkt bei vielen als natürliches Antidepressivum. Die meditative Musik, die Bewegung, die Umarmung und die Berührung wirken heilsam. Ältere Menschen werden durch den Tango beweglicher und kommunikativer. Auch ist er ein geniales Mittel gegen Sozialphobie, Depressionen, Angststörungen und vieles mehr. Die Haltung, die eine Person einnimmt, ist nicht nur eine Position, sondern auch ein Spiegelbild dessen, wer sie ist. Die Art und Weise, wie wir führen oder folgen, ist meistens auch ein Spiegelbild unseres sozialen, emotionalen und mentalen Zustands. Schief hängende Menschen als Sinnbild für ihr verunglücktes Ich. Auch deshalb hat der Tango vielleicht die Fähigkeit zu heilen. Indem wir das physische korrigieren, werden Geist und Emotionen folgen. Die grundlegenden Komponenten der Achtsamkeit – Akzeptanz, Vertrauen und Bewusstsein für den gegenwärtigen Moment – sind alle im Tango-Tanz verkörpert. In naher Zukunft könnten wir vielleicht Meditation und Tango als eine völlig neue Kunstform sehen – eine wirksame Ergänzung für die Behandlung von Depressionen, Angst, Panikattacken und vielem mehr.
© Ferry Nielsen 2025-02-08