von Ferry Nielsen
Das Leben zu ertragen bleibt die große Pflicht aller Lebenden, und der Tango hilft dir dabei. Und er ist der tiefgründigste Tanz der Menschheitsgeschichte. Die Italiener haben ihn im Grunde erfunden – er ist der Tanz und die Musik ihrer Auswanderer, Seefahrer, notleidenden und doch hoffnungsvollen Menschen, die auf der Suche nach Glück in den Baracken von La Boca landeten.
Der Tango ist nicht fröhlich, und er lügt dir kein Weltbild vor, in dem alles gut endet. Er ist voll von Italo-argentinischem Mundart-Vokabular, dem Lunfardo – und ist eigentlich das Resultat der aus sozialer Not geborenen Einwanderungswelle junger Europäer nach Argentinien. Der Tango entstand aber vielleicht auch in Uruguay aus dem Zusammenspiel spanischer, italienischer sowie kubanischer Elemente. Dabei bildeten Candombe (kultische Tanzpantomime) und Milonga das Substrat, Habanera und Tango andaluz die Fremdeinflüsse. Laut José Gobello, dem Präsidenten der Academia Porteña del Lunfardo, handelt es sich bei der Lunfardo-Vokabel Milonga um einen Afronegrismus aus der südwestafrikanischen Bantu-Sprache Kimbundu. Es ist der Plural von Mulonga, mit der Bedeutung „Wörter“, „Gerede“. Ganz in diesem ursprünglichen Sinne bedeutet Milongas im heutigen umgangssprachlichen spanisch noch „Lug und Trug“.
Kein Tanz hat in der westlichen Welt jemals eine so tiefe Ablehnung erfahren wie der Tango. Vielleicht, weil der Tango die herkömmliche weiße Männerrolle unterminiert? Weil der Mann dadurch doch in manchen Momenten zu weiblich wirkt?
Vergiss alles, was du über den Tango Argentino zu wissen glaubst. Es ist alles falsch. Und wenn du einen Argentinier danach fragst, erfährst du erst recht nichts, lese ich gerade in einem Tango-Essay.
Der Tango entstand eigentlich im Milieu der Huren, Zuhälter. Kleinkriminellen und Außenseitern, in den Hafenvierteln von Buenos Aires. Es war ein Anbahnungstanz, also die Vorbereitung für das Separee oder wo immer die sexuellen Dienstleistungen dann damals stattfanden. Also ein Huren-Tanz, der aber immer mehr in gehobenere Gesellschaftsschichten vordrang – sogar bis ins mondäne Paris. Andere behaupten wiederum, dass der Tango eine durch und durch schwule Kulturform sei. Der Ursprung sei schwul und schwarz. Na ja. Ursprünglich war er ja ein reiner Männertanz. Um 1880, als der Tango in Buenos Aires entstand, herrschte totaler Frauenmangel. Also übten die Männer miteinander.
Der Frauenmangel führte aber die Männer auch mehr zusammen, und wenn sie nicht vor den Bordellen herumstanden, tanzten sie Tango miteinander oder soffen, hurten und verprügelten sich.
© Ferry Nielsen 2025-02-07