von Sabine Doods
Eigentlich war sie strenggenommen meine Großtante, die Schwester meiner Oma. Für uns Kinder war sie aber immer die Tante Hanni, oder überhaupt nur die Hanni.
Hanni blieb ihr ganzes Leben unverheiratet und hatte keine eigenen Kinder. Ihr Verlobter war im Krieg gefallen, woraufhin sie das Kapitel Liebesbeziehung abhakte, und sich fortan als liebevolle (Groß)Tante in die Familie ihrer Schwester einbrachte.
Hanni war dabei, wenn wir mit unserer Oma auf Wanderurlaub fuhren. Immer in Erinnerung wird mir bleiben, als sie am Stubenbergsee die Fische mit Schnitzelresten fütterte. Denn sie warf niemals etwas weg. Als Sammlerin hatte sie zu fast jedem Thema einen Zeitungsartikel oder ein Buch jederzeit parat.
Meine Großtante war eine unglaublich intelligente Frau, die sich Zeit ihres Lebens fortbildete. Sie lernte französisch und absolvierte eine Verfassungsrechtsprüfung. Unter anderem war sie Amtsrätin.
Trotz ihres enormen Wissens lebte sie extrem bescheiden. Viele Jahre lang mit ihrer Mutter, die sie am Schluss auch pflegte, später alleine.
Jeden Tag traf sich Hanni mit ihrer Schwester zu einem Spaziergang, oft auch zu ausgedehnten Wanderungen. Die beiden waren wie Hund und Katze. Stritten ständig, liebten sich aber innig. Meine Oma war eher der Lebemensch, tanzte gerne und war sehr praktisch veranlagt. Hanni hingegen repräsentierte das Wissen und war immer am Studieren. Eine „Streberin“, wie meine Oma sie nannte.
Wir Kinder liebten Hanni, denn sie konnte tolle Geschichten erzählen und beschäftigte sich stundenlang mit uns. Wenn ich sie zu Hause besuchte, gab sie mir stets eine Schachtel mit Knöpfen zum Spielen. Außerdem durfte ich das Schlagobers mit der Hand in einer Art Maschine schlagen.
Hanni war konservativ, als Jugendliche störte mich das manchmal. Als sie mein erstes Tattoo, eine Rose am Knöchel, sah, kratze sie mit ihrem Finger darauf herum und fragte mich, wann das wieder weggehe.
Sie war stets ungeschminkt, färbte sich ihre Haare nicht und trug ausschließlich Röcke. Wenn ich bei ihr übernachtete, faszinierte mich vor allem ihre Sitzbadewanne, die man ganz voll machen musste, um sich zu waschen.
Hanni war unglaublich stolz auf mich, als ich in fortgeschrittenem Alter anfing, Rechtswissenschaften zu studieren. Sie hätte sich das für mich schon gleich nach der Matura gewünscht. Jedes Mal, wenn wir uns trafen, fragte sie nach meinem Studienerfolg.
Ich bin ein bisschen traurig, dass Hanni nicht mehr dabei sein kann, jetzt, wo ich fast fertig studiert habe. Oft denke ich an sie, denn was Bildung betrifft, wird sie immer mein großes Vorbild sein.
© Sabine Doods 2020-09-19