tanz im regen

Marie Annett Moser

von Marie Annett Moser

Story

Ich schließe die Augen, Regentropfen küssen mein Gesicht, prasseln auf mich nieder. Ich lege den Kopf in den Nacken und strecke mich dem Himmel entgegen. Mir gefällt der Gedanke, dass der Himmel weint.

Ob der Regen jede deiner Berührungen von mir spülen kann? Ob er meine Ängste und Sorgen von mir wäscht?

Vielleicht kann er mich vergessen und auch erinnern lassen. Ich lasse mich fallen und übergebe ihm die Kontrolle. Die Tränen, die der Himmel vergießt, hüllen mich ein und lassen mich lachen. Es ist laut. Die Tropfen machen Musik, so wie sie hinab auf die Dächer und den Boden prasseln. Ich drehe mich und springe hin und her. Wie das wohl aussehen muss? Meine Stoffschuhe sind vollkommen durchnässt und die Haare kleben mir im Gesicht, doch es stört mich nicht.

Du lächelst mich an und bewegst deine Lippen. Für einen kleinen Moment hatte ich vergessen, dass ich nicht allein hier bin. Ich höre dich nicht, also brüllst du, um das Prasseln des Regens zu übertönen. Du sagst mir, dass ich im Regen noch viel hübscher bin. Dass die nassen Haare wild aussehen. Ich verstehe, was du meinst. Bei Regen ist alles anders. Ich sage nicht, welche Qual es sein wird, die Haare jetzt wieder durchzukämmen, oder dass sie eigentlich frisch gewaschen waren. Das sind Gedankengänge, die für dich nicht nachzuvollziehen sind. Und ich würde den Moment zerreden. Das tue ich oft. Also schweige ich und lasse den Regen weiter Musik machen.

Ein guter Geruch liegt in der Luft. Gleichzeitig fremd und vertraut. Ich habe ihn schon gerochen, bevor der erste Tropfen fiel. Wenn es regnet, riecht nun mal immer alles anders. Ich sauge ihn auf und kann zum ersten Mal nach Ewigkeiten einen vollkommen klaren Gedanken fassen. Die Regenluft befreit meinen Kopf. Ich kann endlich wieder frei atmen und fühle mich leichter als zuvor. Ein bisschen wie durch Magie. Bei Regen sieht die Welt anders aus.

In der Ferne donnert es. Der Himmel spuckt Blitze, die lautlos die Dunkelheit erhellen. Das Licht huscht über dein Gesicht und verschwindet dann wieder.

Es ist einer dieser Momente, in denen dir vollkommen klar ist: So wie jetzt gerade wirst du dich nicht wieder fühlen. Du kannst erneut im Regen tanzen, aber dieses Gefühl ist jetzt. Morgen bist du du, aber gleichzeitig bist du anders.

© Marie Annett Moser 2022-05-31

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