Der Regen begann leise, fast schüchtern. Kleine Tropfen fielen auf den Asphalt, bildeten winzige Ringe in den Pfützen. Clara hielt ihren Regenschirm fester, als sie über den Platz eilte. Ihr Ziel: das Büro, wie jeden Morgen um Punkt 7:45 Uhr. Routine gab ihr Halt, Planbarkeit war ihr Schutzschild gegen das Chaos der Welt.  Doch heute war etwas anders. Â
Mitten auf dem Platz, wo normalerweise nur Menschen hastig vorbeizogen, stand ein Mann mit einer Geige. Seine Musik war leise, fast wie der Regen selbst, doch in den Melodien lag etwas Spielerisches, etwas, das sich nicht von Terminen und To-Do-Listen beeindrucken ließ.  Clara ignorierte ihn. Oder versuchte es zumindest. Doch als sie an ihm vorbeilief, passierte etwas Seltsames: Die Zeit schien für einen Moment stillzustehen.  Er sah sie an – nicht aufdringlich, oder fordernd, sondern mit einer Einladung. Und dann geschah es. Â
„Warum immer wegrennen?“ fragte er und hob die Geige an sein Kinn.  Clara blieb stehen. Sie wusste nicht, warum. Der Regen wurde stärker, prasselte auf ihren Schirm, tropfte an ihr vorbei, während der Geiger weiterspielte. Er schloss die Augen, ließ sich treiben.  Dann tat er etwas völlig Unerwartetes: Er begann zu tanzen.  Mitten im Regen.  Seine Bewegungen waren leichtfüßig, fast schwerelos, als gehörten sie zu der Musik, die er spielte. Die Tropfen fielen auf seiner Haut, sein Lächeln war frei. Â
„Tanzen Sie mit mir“, sagte er plötzlich. Â
Clara lachte nervös. „Ich habe einen Termin.“ Â
„Was, wenn das hier der wichtigere ist?“ Â
Sie wollte protestieren, doch irgendetwas in ihr, ein winziger Funke, begann zu flackern. Sie erinnerte sich an etwas. Ein Gefühl. Ein längst vergessener Teil von ihr, der einmal barfuß durch Sommerregen gelaufen war, der Seifenblasen nachgejagt hatte, ohne darüber nachzudenken, was andere dachten.  Und dann – ließ sie den Schirm los. Der Regen war kalt und warm zugleich, eine sanft auf ihrer Haut. Der Geiger spielte schneller, und ohne weiter nachzudenken, tat Clara etwas, das sie seit Jahren nicht mehr getan hatte: Sie tanzte.  Sie drehte sich, lachte, ließ die Tropfen ihr Gesicht hinunterlaufen. Die Welt sah plötzlich anders aus – bunter, lebendiger. Fremde blieben stehen, beobachteten sie mit einem Lächeln. Und für diesen einen Moment war es egal, wer sie war, was sie tat oder wohin sie gehen musste. Â
© Sasha_Dominique Djoleo 2025-03-02