1986: Die Tschernobylwolke zog nach Nordwest. Also reisten wir nach Südosten, nach Ungarn. Ein toller Campingplatz: Vonyarcvashegy. Das Land der Magyaren war nicht abgeschottet gegen Westliches. Es war prall gefüllt mit DDR-Campern. Sie kamen mit 5 Personen im Trabbi mit angehängtem Hänger für Zelt, Getränke, Verpflegung nach Ungarn – es war ein Stück Freiheit. Ungarn verhieß Kesselgulasch, Puszta, fremde Märkte, Klöster, Weinanbau. Und einen See, der zum Surfen lockte.
Wir nannten ihn Tarzan vom Balaton: Er kam aus Leipzig. Doppelt so hoch wie breit machte er seinem Namen alle Ehre. Tarzan wollte surfen, konnte aber nicht. Hatte ein Brett, das seiner Figur ähnelte. Dachte, mit solch einer Türplatte und ein wenig Kraft bequem den Balaton rauf- und runtersurfen zu können. Was am Balaton aber gar nicht gelingt: eben mal rauf- und runtersurfen. Er ist lang und relativ schmal. Winde wehen nicht stetig, meist nur quer – mitunter stark böig. Der See ist nicht tief, entwickelt aber bis zu 2 m hohe, kurze Wellen.
Tarzan war das egal – er meinte, mit Kraft alles ausgleichen zu können. Doch selbst den Stärksten verlassen mal die Kräfte – zumal, wenn er gut 80-mal ins Wasser gefallen ist und sich nur noch mühevoll aufs Brett wuchten kann. Er hielt sich nun in der Mitte des Sees krampfhaft am Brett fest, ignorierte die Gewitterböen, kam weder drüben noch hier an Land, konnte nicht mal mehr seinen sexistischen Schrei loswerden.
Als ich seine Lage erkannte, informierte ich meinen Nachbarn. Er hatte am Ufer ein brauchbares Segelboot liegen. Der Entschluss war gefasst: Bevor das Gewitter stärker wird: Segel setzen, Tarzan und sein Türbrett retten. Aber wir hatten den Plan ohne Tarzan gemacht. Zwar glitt das Boot schnell an sein Brett, wir warfen eine Schleppleine, aber Tarzan verstand das nicht oder war zu kaputt – er schaute nur verdutzt in unsere Richtung, wollte weiter mit dem Brett an Land schwimmen. Das aber wusste der kräftige Wellengang zu verhindern. Wir wendeten das Boot: Zurück zu Tarzan, der jetzt die Rettungsaktion begriff. Auch beim 2. Versuch konnte er die Leine nicht packen – war schließlich keine Liane aus dem Dschungel!
Wieder gewendet. Jetzt aber hatte der Wettergott die „Faxen mit uns dicke“, schickte eine kräftige Gewitterböe, das Schiff machte einen Satz nach vorn – vorbei an Tarzans leidendem Gesichtsausdruck und nahm Fahrt auf: Richtung anderes Ufer. Und nun zeigte uns Poseidon, was Sache ist: Gut 1000 m vor dem Ufer riss das wie ein wildgewordener Putzlappen flatternde Segel, dann brach der Mast. Das Ufer kam erschreckend schnell näher, und war kein freundlicher Sandstrand – es war felsig!
Was blieb? 300 m vor dem Felsenufer sprangen wir beide von Bord. Das Schiff genoss noch ein wenig den Sturm, bevor es in den Klippen zu Schrott zerschellte.
Wir mussten in Badehosen mit einer Taxe 2 Stunden um den See zum Platz zurückfahren.
Das Gewitter war vorbei. Tarzan trank vor dem Zelt gemütlich sein Bier.
Er grüßte nicht einmal.
© Heinz-Dieter Brandt 2020-09-26