Tattoo

Dennis Pergul

von Dennis Pergul

Story

Die Klingel an der Tür hatte geläutet und sie kam rein. Draußen regnete es ein wenig und sie tropfte den Wasserfilm auf ihrem Schirm ab. Sie fragte vorne an der Kasse, wo es zu mir ginge. Ich hatte ein kleines Tattoostudio in einem Liquid-Shop. Es war nicht groß, jedoch hatte es durch seine vielen Neonlichter, die nachts glimmerten, seinen eigenen Style. Sie sah schrecklich aus und dennoch strahlte ihr Körper eine Energie aus. Sie sprach mich an und wollte ein Tattoo auf den Arm gestochen bekommen. Auf meine Frage, welches Motiv es denn sein sollte, antwortete sie mit dem Namen „Blaine“. Stumpf und in schlichter Form. Sie setzte sich auf die Vorrichtung und starrte in die Leere des Raumes. Es musste ihr erstes Tattoo gewesen sein, denn ich habe sie hier noch nie zuvor gesehen. Sie zeigte keinen Schmerz als ich begann das „B“ mit der Nadel einzugravieren, obwohl der erste Stich für die meisten sehr schmerzhaft war. Ich fragte sie, welche Bedeutung dieser Name für sie hatte – vielleicht ihr Liebhaber, ihr Kind oder etwas komplett anderes. Jeder einzelne meiner Kunden, der sich ein Tattoo stechen ließ, kam mit einer Geschichte her und wollten sie verewigen. Ich wollte ihre erfahren.

Sie kniff mit der Hand fest in das Leder des Stuhls und eine Mischung aus Wut und Trauer brach über ihre Lippen aus. Tränen befanden sich in ihren übermüdeten Augen und ich dachte zunächst, es wäre der kommende Schmerz der Nadel. Jedoch sagte sie zu mir, dass sie ihn vergessen wollte. Er hatte sie betrogen. Er hatte ihr Leid angetan. Er hatte ihr den Himmel auf Erden versprochen und er hatte ihr das Leben zur Hölle gemacht. Sie wollte seinen Namen tätowiert haben, um ihn nicht mehr aussprechen zu müssen. Es zerstörte sie, Tag und Nacht seinen Namen zu hören. Sie atmete tief ein.

Überwältigt von ihren Worten fiel mir die Nadel fast aus der Hand. Doch irgendetwas in mir hatte ihr nicht geglaubt. Ich sagte ihr, dass sie sich damit selbst brandmarken würde, dass sie sich tausend Messerstichen aussetzen würde und dass sie Feuer mit Feuer bekämpfen würde. Sie hielt den Atem an.

Dann hatte ich es verstanden: Feuer mit Feuer bekämpfen. Sie gab sich für alles die Schuld. Er machte ihr das Leben zur Hölle, doch sie schrieb sich die Rolle des Teufels zu. Ihr ganzer Körper zitterte indes. Ich fragte sie, ob sein Name die Geschichte sei, die sie einfach nicht mehr hören konnte oder ob sie die Geschichte sei, die sie nicht mehr hören wollte. Nur noch der Punkt auf dem „i“ hätte gefehlt, dann wäre ich fertig gewesen, doch sie zog ruckartig ihren Arm weg und ich verrutschte mit der Nadel. Sie rannte zur Tür, ich hörte das Läuten der Glocke und sah nur noch, wie ihr Arm mit einem verschmierten „Blame“ in die Nacht flüchtete.

© Dennis Pergul 2021-07-23

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