von Martina Huber
Für Seraphina waren ihre guten Noten die Flucht nach vorne, denn sie wollte einmal ins Gymnasium kommen. Dorthin kommen, wo nur alle Bürgerkinder hingingen, das war schon in frühen Jahren ihr Ziel gewesen. Mutter sagte ihr, dass man dort unendlich klug sein müsste und dort keine einfachen Arbeiterkinder seien, sondern nur Kinder von Lehrern, Ärzten oder reichen Bauern. Was willst du denn dort, da gehört unsereins nicht hin, wurde sie oft von ihren Eltern angefahren. Außerdem müsste man danach studieren und das könnte sich doch unsereins nicht leisten. Jahre lang würde sie ihren Eltern auf der Tasche liegen und wer wusste schon, ob sie den Weg zu Ende bringen würde, geschweige danach mit einem Studium einen Job fände. Wer? Wer wüsste schon?
Sie musste sich oft anhören, warum sie nicht so war wie die andere Seraphina, die jetzt schon wusste, dass sie einmal Krankenschwester werden wollte. Andere Kinder hätten nicht so hohe Ansprüche wie sie, sie seien doch nur eine Arbeiterfamilie und sie keine Bürgerstochter.
In der Klasse war Seraphina oft ruhig und arbeite am liebsten an Wochenplänen, selbstständig an etwas zu arbeiten und sich Aufgaben einzuteilen, das war genau ihr Ding gewesen. An Nachmittagen besuchte sie häufig ihre Schulkolleginnen, die zu gerne mit ihren Kens und Barbies spielten. Dies ödete sie dann schnell wieder an und so verschwand sie wieder. Zu Hause wurde oft gestritten. Dies ödete sie dann schnell wieder an und so verschwand sie wieder. Sie ging oft abends allein ihren Weg zu ihrem Lieblingswald, saß sich dort auf die Bank und sah der Sonne zu, bis sie verschwand. Dies ödete sie nicht an und sie genoss die letzten Sonnenstrahlen, ehe sie wieder nach Hause ging. Dies ging oft so Tag ein Tag aus. Auf ihrem Weg zu ihrer Bank in ihrem Lieblingswald, drehte sie sich meist im Kreis und sang. Sang so laut sie konnte, bis sie sich unendlich gut fühlte.
Die andere Seraphina war ihr erster Fixstern, ihre erste wirkliche Freundin, ihre erste wichtige Bezugsperson außerhalb der Familie. Seraphina war sich sicher, dass sie nichts trennen konnte. Am schönsten waren mit der anderen Seraphina die Wintermonate, in denen sie zusammen Schlitten fuhren oder mit der Schule auf Skikurs waren. Die andere Seraphina wurde immer erste. Seraphina zumindest dritte, zumindest noch eine Medaille ergattern, das war immer ihr Ziel. Die andere Seraphina war immer in allem besser, immer und so war ihr fernes Ziel irgendwann einmal die bessere zu sein. Seraphina war immer schon ein sehr ehrgeiziges Mädchen gewesen.
© Martina Huber 2022-08-27