„Was hat sie nur mit ihren Haaren gemacht?“
„Oh mein Gott, sieht sie gut aus!“
„Aber das war wieder klar …“
Wie ihr seht gehen die Meinungen nicht weit auseinander. Pünktlich vor der ersten Stunde war sie wieder zurückgekehrt und das besser denn je. Mir fiel fast der Stift aus der Hand, als ich sie sah, nach diesem einen Jahr, in dem wir getrennt waren. Und kaum traf ihr tiefblauer Blick in meinen, liefen wir beide schon los, um uns in die Arme zu schließen. Ich sprang dabei von meinem Stuhl, stieß auf dem Weg alles um und warf mich in eine erwürgende Umarmung. Elli selbst lachte darüber und so standen wir vor der gesamten Klasse, lachend, mit Tränen in den Augen, wegen der ganzen Freude. Um ehrlich zu sein ist mir so etwas normalerweise peinlich. Und um ganz ehrlich zu sein, war das damals wahrscheinlich das erste Mal in meiner gesamten Schulzeit, dass mich überhaupt jemand wahrnahm. Denn ich hatte den Titel der Unsichtbaren inne, der Durchsichtigen, ich existierte im Prinzip gar nicht. Vielleicht war ich auch so etwas wie eine Agentin, die andere beschattete, oder eine geheime Mission erledigte und am Ende damit die Welt zu retten. Okay, so cool war ich natürlich nicht. Ich wurde schließlich nicht einmal als Loser abgestempelt. Nein, ich war viel weniger, nämlich eigentlich gar nicht da. Nach dieser Aktion dachte ich die Blicke wären auch auf mich gerichtet, doch als wir uns langsam losließen und ich mich zu meiner Klasse wandte, fiel mir auf, dass ich mich irrte. Nein, sie alle sahen Elli. Ich war nur die Glasscheibe vor ihr. Denn sie überstrahlte alles. Ihre große, schlanke Statur überragte meine kleine, eher pummelige Figur und ihre langen, blonden Haare ergossen sich über die Schultern, wie heller Schnee. Durch ihre blasse, makellose Haut hatten ihre Meeres-blauen Augen noch mehr Tiefe. Sie war unglaublich. Und dreimal dürft ihr raten: Sie war meine beste Freundin. Und eine wichtige Stütze in all dem Chaos, das noch kommen sollte. Warum ich in der Vergangenheit erzähle? Na ja, ist eigentlich ganz einfach und auch logisch: Das, was ich euch jetzt erzähle, ist schon längst passiert. Und glaubt mir, ich bereue das ein oder andere eventuell. Wie auch immer, das hier ist meine Geschichte. Eine Geschichte über Dinge, die anderen vielleicht für immer verborgen bleiben werden – bis heute, der Tag, an dem ich mich endlich traue, alles aufzuschreiben. Nehmt euch einen Stift oder macht euch einen Screenshot, denn man kann aus meinen Fehlern lernen. Ich fange jetzt an. Passt gut auf …
© Melissa Warzynski 2023-09-28