von Wolfgang Rauh
Vor durchaus beeindruckend vielen Jahren flog ich von München nach Bangkok, weil Rucksacktourismus ein angestrebter Inhalt meines Daseins war und Thailand mir nicht nur als wunderschön (jope), preisgünstig (jope) und sicher (keine Ahnung, aber damals jope) beworben wurde. Auf auf ins Abenteuer, dachte ich, und das bekam ich auch, als ein anderer Fluggast mit mir Sitzplatz tauschen wollte, um neben seinem Compagnon zu sitzen. Na gut, macht ja Sinn, ich saß ohnehin alleine. Wir müssen auch den Bordingpass tauschen, meinte er, und mir erschien das zwar nicht unbedingt logisch, aber der Großteil meiner damaligen Reiseerfahrungen beschränkten sich auf den Bahnverkehr, und da kam halt irgendwann ein Schaffner vorbei und kontrollierte das Ticket. Wär ja blöd, wenn der kontrolliert und ich sitz am falschen Platz.
Wir tauschten, und dann kam in Bangkok die Grenze, wo mir auffiel, dass am Bordingpass ein Name steht, und dieser nicht mit dem in meinem Reisepass übereinstimmte. Gan war weder mein Vor- noch mein Nachname, und wie ich das dem mürrischen Zollbeamten erklären sollte war mir ein Rätsel. Ich kam aber durch, ohne großem Dingeldongel, nur mit einem verwirrten Blick, in dem all sein Frust über den Beamtenalltag zu liegen schien. Warum?, mögen sich jetzt aufmerksame Reiseerfahrene denken, warum warum warum? Weil der nette Herr mit meinem Bordingpass mein Gepäck abholen kann und ich meine Backpackingwochen ohne Backpack bestreiten müsste? Weil der Beamte seinem Landsmann keine Steine in den Weg seiner beruflichen Ambitionen als Gepäckklauer legen wollte und sich vielleicht dachte, wenn der so blöd ist seinen Bordingpass herzugeben, dann ist er auch selbst schuld? Ich weiß es nicht, aber meine Theorie ist eher, dass mein blasses, hageres Gesicht mit dem naiven aber weltoffenen Lächeln seine Alarmglocken im Zaum hielt. Ich sah so ungefährlich aus, wie ich war.
Den Mann mit meinem Bordingpass sah ich nicht mehr, meinen Rucksack dafür schon. Manchmal frage ich mich, ob auch er sich bei der Einreise dachte: Upsy-daisy, das mit dem Namen hab ich jetzt nicht bedacht. Ich stell mir dann vor, dass er mich in der Menge gesucht hat, den dünnen Zwerg mit den langen Haaren, damit wir wieder zurücktauschen können.
Seinen Bordingpass hab ich immer noch, und mir gefällt die Version der Geschichte, in der er kein Gauner war, besser als die andere.
© Wolfgang Rauh 2023-06-12