von Mira Wagener
„Nein, ich kann nicht!“, krächzte ich in mein Kissen. Am liebsten hätte ich geschrien, aber mein Körper war zu angespannt, zu erschöpft. Ich war nicht stark genug für diesen nächsten Tag, für dieses Leben. Ich konnte kotzen, dass ich diesen Morgen aufgewacht war. Das war alles nicht nach Plan gelaufen.
„Luna, ich meine es ernst“, rügte mich meine Mutter. „Du hast gesagt, du fährst heute mit uns in den Urlaub!“
Ich wollte schnaubend lachen, aber stattdessen spürte ich, wie mir Tränen in die Augen stiegen. Hastig vergrub ich mein Gesicht in dem Kissen. Es kam mir viel zu surreal vor, dass nach dieser Nacht so etwas wie Urlaub folgen konnte. Aber meine Eltern hatten nicht das Gleiche wie ich gespürt, wie ich. Sie konnten mich nicht verstehen. Ich konnte mich ja nicht einmal selbst verstehen.
„Aber was mit Kurt passiert ist…“, hob ich mit zitternder Stimme an, aber natürlich wussten meine Eltern längst was passiert war. Ich habe ihnen mitten in der Nacht die Nachrichten geschrieben. Nur wussten sie nicht, dass die Situation nicht mein Hauptproblem war. Natürlich war es schrecklich gewesen mitanzusehen wie Kurt nach unzähligen Weingläsern mitten in der Kneipe vom Barhocker gekippt war und ich ihn ins Männerklo gezerrt hatte, weil sein Gesicht zu Bluten begonnen hatte, nur um ihn wenige Minuten später auffangen zu müssen, weil er bewusstlos geworden war. Mit irgendeinem fremden Mann hatte ich ihn in den Flur gezerrt und die Security-Männer um uns herum wie eine Furie angeschrien, sie sollten endlich einen Krankenwagen rufen. Die gruselige Wahrheit war allerdings gewesen, dass Kurt mir mit seinem Leichtsinn das Leben gerettet hatte und ich mir noch nicht im Klarem war, ob ich ihm dafür dankbar sein sollte oder nicht. Eigentlich war mein Plan gewesen auf dem Heimweg nach der Party mit dem Wagen meiner Mutter mit 180 kmh gegen einen Baum zu rasen, um weder den Urlaub noch den Rest meiner kläglichen Existenz ertragen zu müssen. Nun, die Umstände hatten mir das augenscheinlich nicht erlauben wollen. Und nun lag ich hier, völlig unfreiwillig. „Ich bin einfach müde“, schloss ich meine Erklärung.
„Das verstehe ich“, entgegnete meine Mutter scharf. „Aber was erwartest du jetzt von uns? Sollen wir den Urlaub absagen, oder was?“
Ja, hätte ich am liebsten geantwortet, aber ich traute mich nicht, ihr in die Augen zu blicken, geschweige denn ihr Paroli zu bieten. Es war alles einfach nur zu viel. In meinem Kopf spielte ein weiteres Mal „The Final Countdown“ von Europe ab, mit dem ich mich gestern innerlich von der Welt verabschiedet hatte. Ich hatte einen letzten Akt der Rebellion gewollt und nicht einmal das war mir gelungen. Nicht einmal jetzt gelang es mir, als ich mich aus der Wärme meines Bettes schälte und mit brennendem, vorwurfsvollen Blick den meiner Mutter begegnete. Geschlagen schlurfte ich ins Badezimmer.
© Mira Wagener 2024-08-02