The Logical Song

Beate Schilcher

von Beate Schilcher

Story
England 1979

Geht es Ihnen auch so? „When I was young, it seemed that life was so wonderful“ Als Sie jung waren, war das Leben wunderbar. „A miracle, oh it was beautiful, magical“ Geradezu magisch. Ein Wunder. Die Vögelchen haben gezwitschert. Auch sie waren glĂĽcklich. „And all the birds in the trees, well they’d be singing so happily“ – Schlicht: ein Paradies. Und dann?

Sind Sie herausgefallen aus Ihrem GlĂĽck. Tja. DAS hätten Sie nutzen sollen. Sie hätten sich den Frust von der Seele komponieren, einen fetzigen Song inklusive gnadenlos coolem Saxophon-Part schreiben und einen Welthit landen können. Genau das hat Charles Roger Pomfret Hodgson getan. Er hat seine zehn Jugendjahre im Internat Revue passieren lassen und darĂĽber sechs Monate lang einen sehr persönlichen Song ausgebrĂĽtet: „But then they sent me away to teach me how to be sensible“ Lebensverändernde Jahre: Nach der Scheidung der Eltern kommt der 12jährige Roger in die Boarding School. Immerhin: Vaters Gitarre, die er nie anrĂĽhren durfte, gehört nun ihm – eine Weichenstellung. Im Internat: ErnĂĽchterung. Vorbei das Gezwitscher, jetzt soll er „Logical, oh responsible, practical“ sein. Quasi ĂĽber Nacht hat die Welt AnsprĂĽche an ihn: „And then they showed me a world where I could be so dependable“ Zuverlässig und berechenbar muss er werden. Kein Wort mehr von Schönheit und Magie: „Oh clinical, oh intellectual, cynical“. Ja, so ein Fall aus dem Paradies lässt groĂźe Fragen stellen. In der Tiefe der Nacht, wenn nichts von den aufwĂĽhlenden Gedanken ablenkt: „There are times when all the world’s asleep / The questions run too deep“ – Wer kennt die Antworten? „Won’t you please, please tell me what we’ve learned“ – Klingt seltsam, „I know it sounds absurd“, aber kann mir bitte jemand sagen, wer ich eigentlich bin? „Please tell me who I am“.

Hodgson (der heuer 75 wird) war GrĂĽndungsmitglied und Frontmann der britischen Rockband Supertramp. Auf sein Konto gehen die meisten Hits der Gruppe, u.a. „Dreamer“, „It’s Raining Again“ oder „Breakfast in America“. – „The Logical Song“, die Lead Single aus dem Album „Breakfast in Amerika“, erreicht im Erscheinungsjahr (1979) Platz 7 der Britcharts, Platz 6 der USA Billboard Hot 100; es ist Paul McCartneys erklärter Lieblingstitel des Jahres, die Nr. 1 in Kanada und der größte Hit der Band, die ihren Namen von W.H. Davies‘ Buchtitel „The Autobiography Of A Supertramp“ herleitet. – Ganz nebenbei liegt das Songthema damals offenbar in der Luft: Roger Waters von Pink Floyd schreibt (ebenfalls 1979) in „Another Brick In The Wall“ ĂĽber sadistische Lehrkräfte und Gleichmacherei.

„Please tell me who I am“ ist der wichtigste Satz im Song. Und ĂĽberhaupt. Heute, 46 Jahre später, stellt die selbstoptimierte, Fake News-verseuchte Menschheit immer noch die Frage: Wer bin ich? „I said, watch what you say or they’ll be calling you a radical“ Wer bin ich, wenn ich mich nicht anpasse? „A liberal, oh fanatical, criminal“ … wenn ich nicht „dazu“ gehöre? „Won’t you sign up your name, we’d like to feel you’re acceptable“ Na, und was bin ich, wenn ich mich immer brav an die Regeln halte? „Respectable, oh presentable, a vegetable!“ Respekteinflössend und präsentabel wie gekochtes GemĂĽse. – Und so bleibt uns wohl das „Erkenne dich selbst“, die Inschrift am Apollo-Tempel in Delphi, als ewige Aufforderung erhalten. Das Rätsel, das kein Algorithmus jemals fĂĽr uns lösen wird: Who I am / Who I am / Who I am.

© Beate Schilcher 2025-02-20

Genres
Anthologien
Stimmung
Herausfordernd, Emotional, Informativ, Reflektierend
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