Thebai, Aigyptos Stadt

Christine Sollerer-Schnaiter

von Christine Sollerer-Schnaiter

Story

Die gewaltigen Ausmaße des Ramesseum in Medinet Habu machen die Vergänglichkeit lebendig. Da liegt er, Ramses II., von Persern gestürzt und nie mehr aufgerichtet. “Auf dem Sand halb eingesunken, liegt ein zerschmettertes Gesicht …“ schrieb der englische Poet Shelley. Jede Macht vergeht.

Es ist eine Totenstadt. Auf den Fassaden des Tempels ist immer wieder der Totengott Anubis dargestellt, wie ihm geopfert wird. ”Mein Vater Allgott in der Finsternis! Hole mich an deine Seite, damit ich – zum Stern geworden – dir ein Lichtlein anzünde und dich hüte.“ (aus dem Begräbnisritual)

Ich gehe auf den Stufen des Tempels der Hatschepsut; aus ihrem Regierungsprogramm sprach ihr frauenhaftes Wesen.

Ich schreite von Luxor die Löwen- und Widdersphingenallee hinauf zu den Säulen von Karnak und kann die Größe nicht fassen. “Thebai, Aigyptos Stadt, wie reich sind die Häuser an Schätzen; hundert hat sie der Tore.” (Homer). Die Säulen mit den eleganten, sanft ausschwingenden Kapitellen in Form von aufbrechenden Papyrusstengeln ergeben eine wunderbare Stimmung. Die Sonne, die zwischen den Säulen durchkommt, erzeugt einen schillernden Wechsel von Licht und Schatten. Ich wähne mich in einem riesigen Wald mit hohen lichten Bäumen. 16 Säulenreihen mit insgesamt 134 Sandsteinsäulen ragen in einer Höhe von bis zu 24 Metern hoch und umschliessen den Säulensaal des großen Amun-Tempels.

Zwei Obelisken ragen in den Himmel. Der geglättete und polierte Stein stieg immer schmäler und leichter werdend weit hinauf in die Himmelbläue, seine goldglänzende Spitze suchte gleichsam den Sonnengott, und sein wandernder und im Jahreslauf sich ändernder Schatten auf der Erde war wie eine Zwiesprache über das rätselhafte Himmelsgeschehen zwischen Gott und den Menschen, die den Schatten beobachteten. Im Heiligen See vollzogen die Priester Waschungen und Trankopfer und veranstalteten rituelle Bootsfahrten. Zugleich spiegelte sich im Wasser des Sees der Sonnengott wider. In seiner besonderen Erscheinungsform als Skarabäus steht er auf einem Sockel am Seeufer.

Worte können dieses Zusammenspiel, diese Schönheit kaum wiedergeben. Es ist natürlich der Zauber des Anfangs, der mich sagen lässt: Ich habe nie Schöneres gesehen.

Am Abend gibt es eine Multimediashow, eine Licht- und Toninstallation – damals etwas revolutionär Neues. Ich bin skeptisch, will das Geschehen bei meiner Vorstellung belassen, dann aber ist es doch beeindruckend – die Prozessionen, die Rituale, die Musik … heroisch, pompös, spirituell.

Ich erlebe viel Großartiges, Heiliges, Schönes, aber auch Not und Elend.

„Die Erde lebt hier noch aus mythischen Tiefen“ schrieb Horst Krüger in seinem Reisebericht „Getroffen von Ägypten“. Und weiter: „Du musst nach Ägypten fahren. Ich befehle es Dir – beinahe. Erst dann nämlich, kann man getrost und wissend ins Reich der Toten gleiten, mein Freund!“

Ein überraschendes Plakat in gemalten Hieroglyphen heißt mich zu Hause willkommen.

© Christine Sollerer-Schnaiter 2021-04-08