Therapiestunde_Von der Suche nach der Würde

Annika Jung

von Annika Jung

Story

Diese Sätze soll er angeblich so auf seinem Sterbebett gesagt haben. Und wie Recht er damit hat. Warum also dieser Kampf um letzte Worte?
Selbst dann, wenn alles gesagt ist, scheint es einem manchmal doch, als ob manche Dinge noch nicht oft genug gesagt worden sind. Nochmal zweifeln, nochmal ringen mit sich selbst, nochmal die extra Meile gehen, nochmal verändern, nochmal versichern, nochmal erhalten, nochmal bekräftigen, nochmal unterstreichen, nochmal hervorheben, nochmal untermauern und nochmal bewahren. Als ob es irgendetwas ändert. Als ob nur dieser Eindruck wahrlich zählt. Tja. Ich geh mal meine Würde suchen, Narrenfreiheit hab ich schon.
Was also tun, wenn alles gesagt ist? Erstmal, einstweilen, bis dato, zunächst. Zeit. Zeit nehmen. Zeit haben. Zeit schenken. Zeit fühlen in der Stunde null.  
Auf dem Balkon stehen, während die Wolken und der Donner rollen und warten, bis der Regen fällt. Sich damit eine Dusche sparen und in sich eins mit den Elementen sein. Erstmal heute (über)leben und warten, bis es besser wird. Stille aushalten. Nähe zulassen. Stille zulassen, Nähe aushalten. Sich ans Klavier setzen und staunen, wie mühelos die Finger fliegen. Vor all den Scherben stehen und fragen, wer die ganzen Vasen fallen ließ. Müde sein und lange schlafen, präsenile Bettflucht pflegen. Noch immer die Taube auf dem Dach beobachten, während in der Hand ein kleines Spätzchen ruht. Kaffee kochen, ihn nicht trinken – erst wenn er kalt ist, denn dann macht er schön. Tränen nochmal kommen lassen solange bis der Fluss versiegt. Im Schein des Feuers lange sitzen, Kerzen anzünden bei Nacht. Erstmal nach sich selber schauen und sich fragen, was man braucht. Sehr viel Geld im Gartencenter lassen und ein paar neue Mitbewohner kaufen. Ziemlich viel trinken, ziemlich viel tanzen, als ob keiner es sieht. Ziemlich viel schreiben, ziemlich viel löschen, nochmal von vorne, ach nein, heute nicht. Sich einfach erstmal treiben lassen. Der Nachbarin im Garten helfen, ihre Hände dirigieren ein Konzert der Natur. Im Morgengrauen unten bei den Hühnern sitzen. Ein Bild malen und feststellen, dass Regentropfen auf Acryl ein ganz wunderbares Muster machen. Alles verdrängen, leben im Gestern, hoffen im Morgen und ganz behutsam Pläne schmieden. Arbeiten gehen, die Menschen dort hassen, die Menschen dort lieben, seine Aufgaben tun. Angst fühlen und haben, vor dem, was noch kommt. Zukunft scheuen, Jetzt erleben, Freude haben im Moment. Freunde treffen, Hilfe kriegen, an manchen Tagen ist ein Lächeln genug. Und das Meer mal rufen lassen.
So fühlt sich das also an.


© Annika Jung 2023-08-30

Genres
Lebenshilfe, Biografien
Stimmung
Emotional, Reflektierend, Traurig