„Du weißt schon, dass man neue Wanderschuhe erst gemütlich eingehen sollte?“ Hallo? Natürlich weiß ich das und eine Besteigung des Hochlantsch auf der steirischen Teichalm ist für einen Salzkammergutler nur ein Spaziergang. Außerdem befinden sich zwischen Schuh-Innenseite und Haut dicke Sportsocken. „Wos soi sein?“ Ich schultere den Rucksack, schnappe mir die Nordic-Walking-Stecken und los gehts. Vom ****Almwellnesshotel geht es zunächst einmal hinunter zum Teichalmsee, den wir gestern Abend umrundet haben. Vorbei am Sporthotel windet sich der Pfad über eine Wiese und dann in den Wald, wo es steil bergauf geht.
Wir kommen gut voran, meine Goiserer extrem und ich. Obwohl ich unser beider Zeugs trage, bleibt meine Freundin bald zurück. Nicht weiter schlimm, denn ich lege einfach öfter eine Pause ein. Auf einer großen Lichtung, die der letzte Herbststurm, der Borkenkäfer und die Motorsäge in trauter Gemeinsamkeit geschaffen haben, genießen wir die Aussicht über das riesige Teichalmgebiet. Oder „Teicholm“, wie die Einheimischen dieses Wanderparadies nennen. So richtig genießen kann ich den Ausblick allerdings nicht, denn an meiner rechten Ferse macht sich ein leichtes Brennen bemerkbar. Indianer und Salzkammergutler kennen bekanntlich keinen Schmerz, denn „Wos soi scho sei?“. Also weiter. Obwohl der Wanderweg den Hang traversiert und kaum Steigung aufweist, ist es nun Karin, die vorangeht und immer wieder auf mich wartet.
„Soll ich den Rucksack nehmen?“ Auf keinen Fall. Eine Viertelstunde später sind wir wieder im dichten Bergwald. Ich humple mühsam über Stock und Stein, während ich den Tag verfluche, an dem ich die Schuhe gekauft habe. Karin ist mir gämsengleich enteilt. Oben am Grat, von dem aus sich ein grandioser Blick hinunter ins Murtal eröffnet, wartet sie. Das Gipfelkreuz des über 1.700 m hohen Hochlantsch, auf dessen steiler Westflanke sogar ein Klettersteig verläuft, ist in Sichtweite.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht setze ich mich auf einen Baumstamm und ziehe endlich den verdammten rechten Schuh aus. An der Ferse fehlt ein ganzes Stück Oberhaut. Oder präziser, der Hautfetzen hat sich zu einem Ballen zusammengeschoben und das rote Fleisch freigelegt. „Sieht übel aus“, kommentiert sie und greift in meinen Rucksack. Sie räumt Windjacke, Regenhaut, Hut und was weiß ich noch alles aus dem Rucksack, aber kein Wundpflaster. „Du hast also das Erste-Hilfe-Paket vergessen? Jo eh, wos soll scho sei?“
Die Rettung naht in Gestalt eines einsamen Wanderers, der im Vorbeigehen einen Blick auf die Wunde erhascht und erschrocken das erbetene Pflaster herausrückt. Immer noch mit Schmerzen, aber nun deutlich leichter zu ertragen, schleppe ich mich über die Bergwiese die letzten Meter zum felsigen Gipfel hinauf. Nie war ich froher, einen Gipfel erreicht zu haben. Der Abstieg über die Wallfahrtskirche Schüsserlbrunn und die Hütte Steirischer Jokel gestaltet sich dann doch etwas länger als gedacht. Als wir am späten Nachmittag in der hoteleigenen Wellnessoase sitzen, ist mir klar, das mich das Wanderparadies für den Rest des Kurzurlaubs nicht mehr zu Gesicht bekommen wird.
© Klaus P. Achleitner 2024-01-30