These und Antithese (1)

Philipp Von Bose

von Philipp Von Bose

Story

Mit den Jahren entstand ein großes Haus, welches allein, wenn auch nicht einsam, im Schoß der weiten Wälder lag. Die Außenwände waren einfacher Natur, doch zu jedem Zeitpunkt frisch gestrichen. Hermann konnte sich in diesem satten Weiß regelrecht verlieren. Zwei Leuchter umgrenzten die Eingangstür und verteilten ihr Licht kreisförmig in der Umgebung. Sie schienen die Augen des Hauses zu sein, da es gänzlich ohne Fenster war. So war Hermanns einzige Möglichkeit der Weitsicht, das Haus zu verlassen, was er, abgesehen vom Streichen der Außenwände, nicht gerne tat. Die windstille und eigentümliche Natur der Außenwelt war ihm zuwider. Was konnte sie ihm schon geben? Wie könnte sie ihn bereichern, wenn sie ihm doch nur den Komfort seines Hauses verwehrte? Insofern war Hermann eine sehr genügsame Kreatur, die sich in ihrem Zimmer verkroch und ausschließlich Dinge wertschätzte, die ihr bekannt waren. Die meiste Zeit hielt er sich im Wohnzimmer auf, welches zugleich als Schlafzimmer fungierte. Der Begriff “living room” wäre wohl passender gewesen, doch dieses Wort war ihm nicht geläufig.

Eines Tages hatte sich dieses Haus geformt und verlieh der Umgebung durch sein plötzliches Erscheinen einen natürlichen Kontrast. Nun gab es ein “hier” und ein “dort”. Anfangs hölzern und bescheiden, verwandelte es sich mit dem Heranwachsen des noch sehr jungen Hermanns in ein großes, weiß leuchtendes, fensterloses Ding. Er formte es, ohne Anteil daran zu nehmen. Hermann war der blinde, größtenteils indifferente Vater dieser Schöpfung.

Gemächlich setzte er sich in seinen Sessel und begann Schach zu spielen. Sobald er eine der Figuren bewegt hatte, drehte er das Schachbrett um und fuhr fort. Ihm war es recht so… er mochte es sein eigener Gegner zu sein. Die Partien verliefen immer gleich, stets Gewinner und Verlierer, stets gewillt erneut zu spielen. Wenn er dann aufstand und langsam durch das Wohnzimmer schritt, war es nicht etwa, weil er sich langweilte. In diesem Moment hatte er einfach nur mehr Lust, sich anderweitig zu beschäftigen. Das kleine Bücherregal war dann oft das Zentrum seiner Aufmerksamkeit. Obwohl es nur wenige Bücher waren, die dort säuberlich sortiert auf ihn warteten, konnte er sich nicht an ihnen satt sehen. Geraume Zeit später nahm er eines in die Hand und fing an zu lesen. Hermann las im Stehen…das hatte er schon immer so gemacht. Er besaß auch nur Bücher, die ihm bereits bekannt waren. Für ihn stellte sich nicht die Frage, ob etwas sinnvoll oder zielführend ist. Ohne es je entschieden zu haben, war ihm Bequemlichkeit der höchste Wert: ein bekannter Geruch, vertraute Wärme, weiße Farbe an der Außenwand, das Gefühl, stets zu wissen, was kommt und nie die Kontrolle zu verlieren. Zufriedenheit über Glück. Rasender Stillstand in jeder Bewegung.

© Philipp Von Bose 2022-05-10

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